Lieber Dieter Keller, Wie müssen Sie Ostern erleben?...

Transkription: Lieber Dieter Keller, Wie müssen Sie Ostern erleben? Sicher ohne farbige Eilein (auch wir erleben ja auch so wenige unfarbige); Merkt man den Frühling bei Ihnen? Es wird vermutlich noch eine ganz lange Weile gehen, bis dort der Schnee zerrinnt, und dann kommt erst die Nässe und bis es dann trocken sein wird? Darüber wird wohl doch der Mai vergehen. Aber die Zusammenballung der Kräfte für die Offensive muß gewaltig sein nach den Einberufungen. Man ist hier natürlich überzeugt, daß die Russen überrannt werden ¿ bis wohin? Und was dann? Man sieht kein Ende. Was wähnen Sie wohl bei Betrachtung dieses Fotos? Ich bin über Ostern hier geblieben und will bis Pfingsten ausharren, um dann wieder eine Pause einzulegen und nach Hause zu fahren. Nach Ostern kommt mein Bruder hierher, den man hier auch festhalten will. Wir werden dann zusammen versuchen, etwas auf die Beine zu bringen (in Lack) und nach dieser Zeit werden wir beide uns klargeworden sein, ob es Sinn und Zweck hat, in diesem Wuppertal sein Dasein zu verbringen. Ich will mich dann entscheiden, ob für oder bei Kämmerer in Stuttgart das bessere Teil gerettet werden kann. Letzterer baut mir goldene Brücken und verspricht mir so schöne Dinge wie und wenn ich ½ Jahr für ihn tätig sein wolle, könne ich die 2. Hälfte des Jahres tun und lassen was ich wolle. ¿ Das ist freilich ein berückender Gedanke, und wäre eine klare Sache. In Stuttgart bin ich immer sehr aktiviert ¿ und hier von einer eigentümlichen Lethargie, gegen die ich mit aller Kraft ankämpfe. Hoffentlich gelingt es ihrer lieben Frau, für das Bübchen ein heim zu finden, damit sie ihren Plan des Ausspannens für eine Weile verwirklichen kann. Am Ende gelang es und sie ist zu Ostern schon weggefahren. Ach - ich muß ihr die Adsresse unserer Freunde in Hagnau, Bissiers, die doch eine Handweberei betreiben, geben. Von Konstanz mit dem Schiff bequem zu erreichen wenn sie dergleichen will und nicht lieber allein ist. Aber die Tage sind lang. Bei uns ists ja schon bisweilen recht frühlingsmäßig warm. Mein Bruder wird mir u.a. zu guten Malgründen verhelfen. Vielleicht gelingt es mir dann, das ¿Englische¿ zu rekonstruieren. (Dieses, das Original, hatte einen besonders schönen Leinwandgrund. Aber Leinwand ist heute ein rarer Artikel geworden). Ich will überhaupt dies und das rekonstruieren ¿ an sich nicht das Neue Schaffen, müßte die Parole lauten. Ich habe lange nichts mehr von Ihnen gehört, lieber Dieter Keller, es sei denn das, was mir ihre liebe Frau mitteilte. Leben Sie wohl und tragen Sie weiterhin das Unvermeidliche, Schwere, und seien Sie immer herzlichst gegrüßt, von Ihrem getreuen Oskar Schlemmer