Revolutionäre Szene (La Caricature Nr. 216, 25.12.1834)

Auguste Bouquet (1810-1846) greift in der Lithographie das berühmte Wandbild von Leonardo da Vinci auf, Das letzte Abendmahl , im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand. An einer langen Tafel sind die Gestalt der Liberté und Abgeordnete der „Julimonarchie" versammelt. Die Tafel ist anstatt mit Speisen und Getränke mit Papier, Schreibzeug und Büchern bedeckt. Die Personen- und Raumkomposition nimmt entsprechend der berühmten Vorlage den gleichen Aufbau ein. Sogar die Gesten der einzelnen Gruppen werden übertragen. Im Zentrum sitzt, in der gleichen Haltung wie Christus, die Figur der Freiheit mit entblößter Brust. Ein Heiligenschein umgibt ihre phrygische Mütze und weist ihr einen sakralen Rang zu. Die individuellen Physiognomien der „Jünger", links und rechts von ihr, sind deutlich charakterisiert und lassen sich leicht erkennen. Neben Comte d´Argout (lange Nase) und Marschall Lobou (Hängebacken) lassen sich rechts von der Freiheit der Advokat und spätere Kammer­präsident Dupin (ausgebreitete Arme) und - mit erhobenem Zeigefinger - der Kriegsminister Soult erkennen. Der König Louis-Philippe (1773-1850) befindet sich entsprechend der Judasfigur in da Vincis Fresko rechts von der Freiheit . Sein Gesicht erscheint im Profil und zeigt die charakteristische Haartolle und den Backenbart. Auguste Bouquet griff die gleiche Komposition und Thematik bereits zwei Jahre vorher in einer Lithographie auf. Die Figuren wurden dabei karikiert statt naturalistisch wiedergegeben. Dortbefindet sich König Louis-Philippe als Judas am rechten Bildrand. Sein Gesicht ist abgewandt und in der Hand am Rücken trägt er den Geldbeutel. (Vgl. Auguste Bouquet, Das Abendmahl, Inv. Nr. D 1963/257,d,P163). Oftmals griffen die Zeichner der »La Caricature« auf die Kunstform der Parodie zurück und ahmten Meisterwerke der Kunstgeschichte nach (vgl. Charles-Joseph Traviès, Freie Nachahmung eines Gemäldes von Tizian, Inv. Nr. D 1963/257,g,P356). [PDy] „Karikatur - Presse - Freiheit. Honoré Daumier und die französische Bildsatire", 2015.