Lieber und geehrter Herr Burger Wenn ich nicht krank wär...

Transkription: Schloss [...] Freitag (Verzeihen Sie den Bleistift) Appia Lieber und geehrter Herr Burger Wenn ich nicht krank wäre hätten Sie schon lang ein Wort von mir bekommen, da ich oft und mit aufrich- tiger Sympathie an Sie denke. Leider muss ich noch fern von aller Korrespondenz und Schreiben bleiben. Daher werden Sie mir wohl verzeihen wenn ich heute nur ein paar Zeilen an Sie richten kann. Ihr Vorhaben interessiert mich sehr: alle Schülern Dal- crozes sollen Mitarbeiter werden um damit die grossen reformatischen Gedanken vorwärts zu bringen. Aber es ist schwer für einen wie ich der nie eigentlicher Schüler Dalcroze war. Wenigstens nie längere Zeit, wirklich gut Ratschläge zu geben. Desto mehr da ich seit schon vielen Jahren in der Einsamkeit lebe und nicht mehr recht in der Übung der Musik und der Inscenierung bin. Wahrscheinlich haben Sie sich auch an andere ge- wendet (F Steinwender, H. [...], etc ...) und das ist auch das beste, denn die leben mitten drin! - Vorläufig weiss ich Ihnen wirklich nichts nützliches Vorzuschlagen. Mit der Wahl der Musik ist es eine sehr heikle Sache! Hauptsächlich muss alles abstrakte alles Indirektes (unmittelbares) vermieden werden. - Augen und Ohren müssen zugleich in Anspruch genommen werden ohne dass das Reflektieren sich dabei mischt. Daher war Ihre Brahms? in Hellrau, obwohl schön, tief einstudiert und interessant, doch ästhetisch nicht echt - wenigstens für mein Gefühl. Wenn mir irgendeine Idee einfällt, die werde ich Ihnen sofort mitteilen. Für heute verzeihen Sie noch dass ich so wenig schreiben kann; ich muss fast immer liegen bleiben. Haben Sie herzlichsten Dank für Ihren liebenswürdigen Brief - und sein Sie von meiner Sympathie versichert - Ihr ganz ergebener Adolphe Appia Liszt enthält vieles das man brauchen könnte: Hr. [...] ist auch dieser Meinung. Lieber schlicht, einfach, sein - als prunkvoll und russisch u.s.w!! - die ästhetische Reinheit der Absichten macht schon allein die Schönheit. Wahrscheinlich werden Sie auch Terassen, Treppen, Pfeiler u.s.w. haben? Vergessen Sie nicht dass die senkrechten Linien notwendig sind um dem Körper sein Ausdruck erschöpfend mittzuteilen. Das fehlte ein wenig zu sehr in orpheus in Hellerau! - wenn Sie Etwas Umfang haben seien Sie so gut es mir mittzuteilen - dass ich sehe wie ich Ihnen behilflich sein könnte. Auch wenn Sie sich schwer für dies oder jenes entscheiden können. Hiermit das alte Schloss am See wo ich mir eine kleine Einsiedelei gemietet habe! Werden Sie mich einmal besuchen?