Lieber Dieter Keller, dies wohl der letzte Brief aus Stuttgart...

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Worum es geht

Beschreibung

Transkription: Lieber Dieter Keller, dies wohl der letzte Brief aus Stuttgart meinerseits, denn die Tage bis 31. sind gezählt und jeder ist mit Millionen Kommissionen gefüllt. Da ich das Zimmer gekündigt habe und eine Nachfolgerin gefunden ist, muß ich ja gehen. Ihre liebe gute Frau wird Ihnen über das Geschehene ausführlicher u wertvoller berichtet haben als ich das zu tun vermag. Ich habe die Wand zuletzt mit 10 Augen gesehen; - konnte nicht mehr und machte zunächst mal einen Punkt. Auch heute noch denk u sehe ich zumindest mit 4 Augen: 2 positiven und 2 negativen. Wie kann es auch anders sein? Restlose Vollendung wäre ja etwas Ungeheuerliches. Immerhin glaube ich einiges nicht Unwertes auf die Wand gerettet zu haben. Ich erstaunte wieder einmal, welche Wirkungsmöglichkeiten einem dort gegeben sind mit den Mitteln der Form und der Farbe - ungeheuren, ungeheuerlichen, und ich muß immer erneut wiederholen, wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie mir die Möglichkeit gaben. Lassen wir die Sache nun zunächst einmal auf sich beruhen. Ich muß Distanz dazu gewinnen. Übers Jahr vielleicht oder früher fahre ich dann nochmal über das Ganze vielleicht. Unterdessen werden Sie es ja gesehen haben. Fotos, die versuchsweise mein Bruder machen will, fürchte ich, werden den rechten Eindruck nicht geben können. Doch warten wir ab. Mißlingen sie, so ist Mögle ja, immer noch da. Lieber wäre mir Sie sähen es in natura statt im Foto. Aber ich kann ihre Ungeduld, zumal unter den über Ihnen und um Sie waltenden Umständen verstehen. Lieber Dieter Keller: halten Sie an sich gegenüber den Kameraden und auch im Brief. Ich weiß, man kann nicht alles in sich hineindrücken und Sie vermögen in dieser Hinsicht sicher sehr viel, aber wenn ich den Schaden bedenke, den Sie nehmen könnten, so rate ich, sich zum Äußersten zu beherrschen. Ein Trost mag Ihnen sein, daß es Tausende müssen. Komiß und Kompromiß sind sicher auf einer Miste gewachsen. Halten Sie aus und durch in Ihrem eigensten und dem Interesse dessen, was Sie lieben. Für den Scheck, den ich hier einlöste, nochmals schönen Dank. Wegen des nächsten, ende August, schreibe ich Ihnen noch wie und wohin. Es freut und rührt mich, daß Sie nun an dem Bild mit dem dunklen Kopf Gefallen finden. Darf ich dafür 300,- ansetzen? Eine Sofortbezahlung ist nicht nötig, doch leider immer erwünscht. Ich möchte Ihnen jedenfalls in keiner Weise Ungelegenheiten schaffen. Tun Sie also, wie Sie vermögen. Das Pastell habe ich auch bei Ihnen deponiert, und es hinter das Glas der grauen Studie geheftet. Es sieht in Ihren hellen Räumen besser aus als bei mir unten. Die mir nicht angenehmen Grüntöne wandeln sich je nach Licht u Beleuchtung in schöne blaue. (für dieses hatte ich mir dereinst auch 300.- gedacht). Ich hatte mir meine Pastellfarben kommen lassen in der Meinung, Muße zu finden, dergleichen hier zu tun. Sie werden aber unberührt heim oder nach Elberfeld reisen. Denn dieser Ort wird ja nun also mein Herbst- und vielleicht Winterquartier werden, um dann ausschließlich in Lack zu machen. Der Winter ist lang und der Lack zäh, aber auch glänzend; vielleicht daß nebenbei auch bildmäßiges aus Lackerkenntnissen entstehen wird. Ich könnte es mir denken. Vom 1. August bis 15. September etwa denke ich in Sehringen zu sein; leider mit einem ziemlichen Packen Arbeit behaftet; dennoch denke u hoffe ich, zum Malen zu kommen. Die Tage in Ihrem Heim haben mir sehr wolgetan. Die hellen hohen Räume empfand ich - wohl als Reaktion auf meine grauen Stübchen -Körperlich und seelisch wohltuend. Es ist doch sehr wichtig, worinnen man lebt. Ich werde mein graues Atelier in Sehringen weiß streichen (wenns sichs lohnt - denn ungewiß ist dieses Haus in einer ungewissen Zukunft). Alle guten Wünsche, Mut und Vertrauen, lieber Dieter Keller! Und die Herzlichen Grüße Ihres Oskar Schlemmer

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