Sixieme Livre de Leçon d'Ornement dans le gout du Crayon

Der Pariser Kupferstecher und Professor für Ornamentkunst Romain Girard veröffentlichte ab 1756 sechs Bände mit Darstellungen von Blattwerk-Ornamenten. Die Druckplatten in der aufwendigen Kreidemanier schuf Gilles Demarteau l'aîné. In dieser Tiefdrucktechnik wird der Ätzgrund auf Radierplatten nicht mit der Nadel, sondern mit Hämmerchen und Rädchen mit vielen kleinen Spitzen bearbeitet, so dass im Abdruck der Effekt einer weichen Kreidezeichnung nachgeahmt werden kann. Die Verwendung roter Druckfarbe verstärkt diesen Eindruck noch. Das Titelblatt der letzten Folge, »Sechstes Buch der Ornamentlehre im Kreide-Stil«, gibt das Thema vor: Ornamente aus Blattwerk. Der Begriff Blattwerk, auch Laubwerk genannt, bezeichnet aus Pflanzenblättern zusammengesetzte Verzierungen in stilisierter Form. Oft tritt es in Verbindung mit muschel- und spiralförmigen Motiven, sogenannten Rocaillen und Voluten auf, oder mit Blütenranken und architektonischen Elementen. Auf der Radierung ist ein Ornament dargestellt, das in seiner Grundform an eine übergroße Muschel erinnert. An deren Scharnierpunkt bilden sich symmetrisch angelegte Voluten. Von diesen ausgehend erstreckt sich das Blattwerk. Es verläuft zunächst nach unten, dann jeweils seitlich an der Muschel entlang. Schließlich strebt es nach oben. In diesem Fall ist das Blattwerk eher schlicht gestaltet, an einem Blatt befinden sich meist nur drei Einkerbungen. Das Muschelornament erscheint auf einem dreigliedrigen Sockel platziert, den das Blattwerk vorne und seitlich leicht überlagert. Hierdurch entsteht räumliche Tiefe. Zusätzlich wird die plastische Wirkung des gesamten Ornaments durch eine ausgeprägte Hell-Dunkel-Kontrastierung betont. Durch die Kreidemanier dienten die Livre de Desseins au Crayon nicht als direkte Ornament-Vorlagen, sondern sind als Lehrbücher anzusehen, die sowohl in das Zeichnen mit Kreide einführen, als auch Anregungen zum eigenen kunsthandwerklichen Gestalten bieten. [J.Koritko/HMK]