Lieber Herr Herre, Ihr Brief traf mich im Fieber an...

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Worum es geht

Beschreibung

Transkription: Lieber Herr Herre, Ihr Brief traf mich im Fieber an, in das mich, wie ich mich wohl nicht täusche, ein seelischer Zustand versetzte, die liebe Erkältung hat wohl das Geringste auf sich. Wohl eine seelische Erkältung durch einen Luftzug von empfindungsloser menschlicher Seite verursacht und ich kuriere mich, indem ich mich recht auf mich concentriere. Ich bin Ihnen noch eine Antwort auf Ihren ersten Brief schuldig; das Concept resp. der nicht abgesandte Brief fiel mir letzthin wieder in die Hände. Ihren Brief von damals kann ich eben nicht finden, schreibe daher nur die Gedanken, die mir wichtig scheinen. Ich bat Sie darin, den anmaßenden Ton meines ersten Briefes zu entschuldigen und damit zu erklären, daß ich mich wieder einmal ins andere Extrem meiner Art verloren habe: mich fantastisch zu äußern. Meist bin ich allzu zart und höflich und finde mich daher oft am Pol einer erstrebenswerten Art. Dann war, wie ich mich erinnere, die Rede vom Gesundsein als Bedingung für den Künstler. »machen Sie sich gesund« schrieben Sie. Ich glaube an das Gebärtüchtige der Resignation, des Schmerzes und die Krankheit, die ich meinte, ist natürlich geistiger Art. Geistige Wunden. Aber dieses »Stirb u werde«, der geistige Tod u Auferstehung ist eine Erscheinung im Leben ich glaube jedes künstlerischen Menschen, ja, daß ich einem solchen wünschen möchte dieses Auf und Ab möchte sich immer wiederholen. Goethe nennt es »die wiederholte Pubertät«. Es ist die Gewähr für das Fortschreiten. (zum obigen: die Resignation: der Dung für die feinsten Blüten) Ich werde mich also nicht bemühen von solcher Art Krankheit zu gesunden. Ich glaube van Gogh sagte, daß er am meisten Künstler sei, wenn er krank wäre und es gibt Äußerungen dieser Art noch viele. Sie halten mir Walt Whitman entgegen. Ich suche noch den Angriffspunkt, etwas stimmt nicht. Ihr Vergleich mit dem Turm, in den ich flüchte, könnte hinken: die unten stehen sind zu nah an der Wirklichkeit, der Turm gewährt den Weitblick, Distanz, Übersicht, zudem ist man näher beim Himmel. Werden Sie sich noch an den Zusammenhang erinnern? Nun zum neuen Brief. Erlassen Sie es mir, meine Zurückhaltung zu erklären. Ich habe mehr als eine Achillesferse zu schützen. Ich liebe die Gewandfalten der Gotik, die fantasieanregenden, und den nackten Körper, den Sinnlichkeit erregenden. Weiß nicht wo Phantasie und Sinnlichkeit grenzen, möchte aber alles tun, die Phantasie lebendig zu erhalten. In Ihrem letzten Brief sind Sie mir freundlich gesinnt, ja ich finde Schmeicheleien, sofern ein impressionistischer »excentrischer« Eindruck mit mir in Verbindung gebracht, eine Schmeichelei ist. Doch meine ich daß wir in Nietzsches Sinn zu rechten Feinden werden, daß Spruch und Widerspruch aufeinanderprallen, unsere Correspondenz ersprießlich werden kann. Ich werde meinerseits zunächst in Widersprüchen offen sein, der heitere Anfang vielleicht zu einer umfassenden Offenheit, die Sie an Bollmann bewundern. Was meinen Sie mit den Nebengeräuschen, die Ihnen unverständlich waren? Ihr Gedicht kann ich noch nicht recht fassen. Das folgende: concentrischer Impressionismus, soll meine Stimmung geben: Thee mit Rum de Jamaika (fast zu gleichen Teilen), Malaga, getrocknete zwetschgen, Zwiebäcke, in einem kleinen weißen Schächtelchen mit Goldrändern (es könnte einen Ring enthalten), Pyramidon in Pillenform - gegen Fieber, ohne daß ich eine Wirkung verspürt hätte - Sanin von Arzibatschefs verkehrt aufgeschlagen auf dem dem Diwan nächsten Stuhl, vom Diwan zunächst erreichbar Walt Whitmans grasgrünes Büchlein - auf dem Tisch ETA Hoffmann: Kreisleriana. Diese 3 Lektüren wechseln entsprechend meinen Fieberzuständen - da noch: versteckt unter Zeichnungen, vorwurfsvoll, A. Schönberg Harmonielehre. Die Lampe brennt auf dem Tisch, ich müsste aufstehen, sie auslöschen, ich bin aber im Schweiß - wenn ich einschlafe brennt sie bis zum Morgen, ich sinniere ob ich einschlafen würde - [...]

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