Die niederländische Fotografin Suzanne Jongmans (*1978) verknüpft in ihren Fotografien geschickt die Ästhetik altmeisterlicher Porträts mit modernster digitaler Technik und erweckt auf diese Weise die Malerei des 15., 16. und 17. Jahrhunderts zum Leben. Das Foto »The Pile« ist Teil der 2007 begonnenen Serie »Mind over Matter«, bei der Jongmans die Aufmerksamkeit der Betrachterinnen und Betrachter verstärkt auf die Kleidung der Porträtierten lenkt. Diese besteht zu einem Großteil aus einfachen Verpackungsmaterialien oder – wie im Falle von »The Pile« – aus einer Anhäufung unterschiedlichster Altkleider.
Suzanne Jongmans spielt in ihren Werken auf berühmte künstlerische Vorbilder der Frühen Neuzeit an, darunter Peter Paul Rubens oder Diego Velázquez, zitiert hier aber zugleich den italienischen »Arte Povera Künstler Michelangelo Pistoletto und dessen »Venus in Lumpen« von 1967. Jongmans macht mit ihren atmosphärischen Bildinszenierungen subtil auf eines der gravierendsten Probleme unserer Zeit aufmerksam: übermäßigen, oft unbedachten Konsum und die damit verbundene Zerstörung der Umwelt. Indem sie die Hinterlassenschaften der modernen Konsumgesellschaft recycelt und daraus etwas Neues entstehen lässt, hält sie diesen Kreislauf an und weist gleichzeitig auf die globale Problematik hin.
Jongmans, die in Tilburg Fotografie und Textildesign studierte, entwirft und fertigt die komplizierten, historisch anmutenden Kostüme ihrer Modelle selbst an. Es kann daher Wochen oder sogar Monate dauern, bis die Vorarbeiten für ein einziges Foto abgeschlossen sind. Die technischen Möglichkeiten der digitalen Fotografie bezieht sie hier bewusst mit ein: Sie fotografiert nicht das gesamte Modell, sondern Ausschnitte, von denen sie dann die besten am Computer zusammensetzt um das perfekte Bild zu schaffen. Jongmans legt dabei sowohl Wert auf die Details als auch die Auswahl der für die Kostüme verwendeten Materialien, die ihrem Verständnis nach eine eigene Geschichte erzählen. Sie versteht sich als eine Art Sammlerin, die das vergangene Leben der Objekte mit ihrer eigenen Erzählung verknüpft, woraus sich automatisch ein Dialog ergibt – »a dialogue over time«, der das Gestern mit dem Heute verbindet. Mit ihren vermeintlich historischen Darstellungen beeinflusst Jongmans unsere Wahrnehmung und nimmt zugleich Bezug auf die inszenierten Standesporträts der Frühen Neuzeit, deren Aussage sie ins Gegenteil verkehrt. Waren es in früheren Jahrhunderten nicht zuletzt die wertvollen, üppig fallenden Stoffe der Kleider, die einen wesentlichen Teil der Bildwirkung und damit der Zurschaustellung von Macht und Reichtum ausmachen, sind es bei Jongmans nun aus Abfällen und Altkleidern zusammengesetzten Kostüme, die die Erzählung mittransportieren.
Die Fotografie »The Pile« ergänzt die umfangreiche Fotosammlung der Staatsgalerie und spiegelt zugleich deren neue Erwerbungsstrategie wieder, die den Fokus auf weibliche, zeitgenössische Positionen legt.