Von dem in Stuttgart und Karlsruhe ausgebildeten Künstler Rudolf Schlichter befanden sich in unserer Sammlung bisher zwei Gemälde, 25 Zeichnungen und Aquarelle sowie 12 Lithographien. Sie umfassen das gesamte künstlerische Spektrum, allerdings waren pointierte Einzelskizzen, speziell mit dem süffisant-erotischen Thema »Stiefel«, bisher ein Desiderat. Diese Lücke konnte nun geschlossen werden.
Der Künstler und Autor sowie Vertreter der Neuen Sachlichkeit Rudolf Schlichter neigte zum Masochismus und war ein Fetischist, den u.a. Knöpfstiefel inspirierten. In seinen Zeichnungen arbeitete er präzise, was sich in diesen Bleistiftskizzen aus den späteren 1920er Jahren in der voyeuristischen Genauigkeit der dargestellten Knöpfstiefel zeigt. Für Damenschuhe hatte er offenbar ein ganz besonderes Faible und so berichtet er von der Bestellung eines Stiefelpaares für seine Frau Elfriede Elisabeth Koehler, genannt Speedy: »Mit einer hastigen linkischen Bewegung fuhr er in seine Taschen, kramte umständlich darin und zog endlich zum heimlichen Gaudium der Angestellten eine Anzahl bekritzelter Zettel heraus, auf denen die Form des Stiefels, Vorder- und Seitenansicht, die Form des Absatzes, der Knöpfe, des Schaftes usw. genau aufgezeichnet waren« (in: Rudolf Schlichter: Zwischenwelt. Ein Intermezzo, Berlin 1931).
Seine Frau Elfriede Elisabeth Koehler, eine »Lebedame aus Genf«, war seine unentbehrliche Muse und Domina. Sie ist auf dem Foto, das im Fotoatelier Binder in Berlin entstanden ist, abgelichtet. Seine stürmische Beziehung zu Speedy enthüllte Schlichter 1931 in seinem Roman »Zwischenwelt. Ein Intermezzo«.
1890 geboren in Calw
ab 1904 Lehre als Emaile- und Porzellanmaler in Pforzheim
1907-1909 Besuch der Kunstgewerbeschule in Stuttgart
ab 1910 Studium an der Kunstakademie Karlsruhe u.a. bei Wilhelm Trübner und Hans Thoma, Studienreisen nach Italien und Frankreich
1916 Einzug zum Militär
1919 erste Ausstellung in Karlsruhe, anschließend Übersiedlung nach Berlin, wo Schlichter sich der Novembergruppe, den Berliner Dadaisten und der KPD anschließt
1920 Teilnahme an der »Ersten Internationalen Dada-Messe« in Berlin; Tätigkeit als Illustrator für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, Die Rote Fahne, Eulenspiegel und Der Querschnitt
1925 Teilnahme an der Ausstellung »Neue Sachlichkeit« in Mannheim
1929 Hochzeit mit Elfriede Koehler (genannt Speedy)
1932/33 Veröffentlichung seiner Autobiographie
1936 Umzug nach Stuttgart
ab 1937 gilt Schlichter als »entarteter« Künstler
1939 Umzug nach München, dort Kontakt zum Kreis um Hans Scholl
1942 wird Schlichters Atelier ausgebombt und ein großer Teil seiner Werke zerstört
1946 Mitbegründer der Künstlervereinigung »Neue Gruppe« in München und Teilnahme an der Ersten Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung in Dresden; Hinwendung zum Surrealismus
1955 stirbt Schlichter in München.