Als Maler, Zeichner, Bildhauer, Wand- und Bühnengestalter, Choreograf, Theoretiker und Lehrer hinterließ Oskar Schlemmer (1888–1943) nicht nur ein vielfältiges Œuvre, sondern zählt heute zu den Pionieren der klassischen Moderne. In Stuttgart geboren und ausgebildet, setzte er sich in seinen Arbeiten maßgeblich mit ästhetischen, formalen und gesellschaftlichen Fragen auseinander. In dieser Auseinandersetzung nahm auch die Konzeption und Ausführung von Wandbildern zeit seines Lebens einen hohen Stellenwert ein. Seit 1911 fertigte er Wandbildarbeiten im privaten und öffentlichen Raum an und gestaltete 1940 sein letztes freies Wandbild für den Wohnraum des Wohnhauses von Martha und Dieter Keller in Stuttgart-Vaihingen. Während dieses Stuttgarter »Wandbild Familie« seit 2015 dauerhaft in der Staatsgalerie präsentiert wird, haben sich andere seiner Wandgestaltungen nicht erhalten, wurden zerstört oder gelten als verschollen. So sind es maßgeblich seine vielfältigen Vorstudien und Entwurfszeichnungen, die Schlemmers Visionen seiner Wandgestaltungen wiederaufleben lassen und Rückschlüsse auf künstlerisch-gestalterische Prozesse geben.
Eben solch eine Zeichnung konnte die Staatsgalerie aus der Sammlung der Kunsthistorikerin Karin von Maur auf einer Online-Auktion ersteigern. Mit dem Ankauf konnte sowohl der in der Staatsgalerie befindliche, weltweit größte Schlemmer-Bestand ergänzt als auch eine frühe vorbereitende Studie für das »Wandbild Familie« erworben werden. Entstanden 1940, zählt das unbetitelte Blatt zu einem umfangreichen Kanon an Entwürfen und Vorzeichnungen, die Schlemmer zwischen Ende 1939 und Sommer 1940 für das Wandgemälde im Wohnhaus der Familie Keller anfertigte.
Dargestellt sind drei diagonal angeordnete und unterschiedlich stark ausgearbeitete Figuren, die sich über die gesamte Höhe des Blattes entwickeln. Schmal, stark verlängert und auf geometrische Grundformen reduziert, handelt es sich um unterschiedlich gut ausgearbeitete Studien zum »Symbol des Toten«. Darüber hinaus von Schlemmer als »Symbol des Gefangenseins« und »Eingeschränkten« beschrieben, ist das »Totenbrett« ein ausschließlich negativ angelegtes Motiv, das in Verbindung mit Tod, Krieg und Vergänglichkeit zu lesen ist. Während es sich bei diesem Blatt um eine Detailstudie handelt, ist das Motiv auch in anderen Entwurfszeichnungen, die den übergeordneten Wandaufbau darstellen, eingebettet: Anhand dieser wird deutlich, dass das flächenübergreifende, zwischen Boden- und Deckenbegrenzung angelegte »Symbol des Toten« ursprünglich als Pendant zu den aktiven, positiv konnotierten Bildelementen eingeführt wurde. Wollte Schlemmer womöglich zunächst stärker die Trias von Geburt, Leben und Tod herausarbeiten, fand das Motiv des »Totenbretts« in der finalen Wandgestaltung keine Verwendung: Nicht nur, weil das Ehepaar ein Kind erwartete und Schlemmer rein positive, schwebende Elemente bei der Wandgestaltung nutzen wollte. Sondern auch, weil sich Schlemmer insgesamt einem noch freieren, offenen Wandkonzept zuwandte, die seine Auseinandersetzung mit dem Raum offenlegen.