Neuerwerbung 2021

Karin Kneffel

Ohne Titel, 2003

Karin Kneffel, Ohne Titel, 2003, Staatsgalerie Stuttgart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Karin Kneffel, Ohne Titel, 2003, Staatsgalerie Stuttgart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Karin Kneffel zählt zu den profiliertesten Vertreterinnen des Neorealismus und der zeitgenössischen Malerei. Bekanntheit erlangte sie in den frühen 1990er-Jahren mit der realistischen Darstellung von überdimensionierten Früchten, Stillleben und Tierportraits. Seit mehreren Jahren beschäftigt sie sich nun mit komplexen Raum- und Zeitschichtungen und blickt mit mehrdeutigen Wahrnehmungs- und Bildstrategien auf die Kunst- und Architekturgeschichte. Von den Anfängen als Meisterschülerin bei Gerhard Richter bis in die Gegenwart hinein hat sich ihre Bildsprache ständig erweitert: Extreme Ausschnitte, Verbindungen zwischen Nahsicht und Fernsicht sowie irritierende Spiegelungen zeichnen ihre Malerei aus, die einer anhaltenden Befragung der Wirklichkeit gewidmet ist. Durch ihre Detailgenauigkeit und ihren verführerischen Illusionismus erscheinen ihre Arbeiten auf den ersten Blick überaus realistisch. Bei näherem Hinsehen wird jedoch klar, dass sich in Kneffels Œuvre auf irritierende Weise Realität und Fiktion, Wirklichkeit und Täuschung, Gegenwart und Geschichte miteinander verschmelzen.

Mit Karin Kneffel erwirbt die Staatsgalerie eine Position, die eine zentrale Rolle in der internationalen Kunstszene spielt und sich mit einer Befragung der Wirklichkeit und ihrer Abbildung auseinandersetzt.

Das großformatige Gemälde Ohne Titel (2003) bezeugt, wie Karin Kneffel die Bildformen des Fotorealismus weiterentwickelt und ins Geheimnisvolle hebt. Ausschnitthaft zeigt Kneffel hier den nahen Blick auf einer Treppe, teilweise verdeckt durch einen roten Teppich. Kneffel gelingt es, das alltägliche Motivrepertoire in eine spannungsreiche, rätselhafte Szenerie zu verwandeln: Blickführung und Perspektive laden den Betrachter in einen Ort, dessen Koordinaten jedoch unbekannt bleiben. Es fehlt so ein Ziel, zu dem ein solcher Weg führen sollte und wegen dieser Ortlosigkeit bilden die Stufen und der über sie laufende Teppich zugleich Barrieren, die den Betrachter auf Abstand halten. Einladend und unbetretbar, vertraut und ungewöhnlich: Die Künstlerin zeigt in ihren Werken immer eine andere Deutung der Dinge, die der gewohnten nicht entspricht.

So hintergründig wie wirkungsvoll spielt Kneffels Werk Ohne Titel mit unseren Erwartungen und zugleich entfaltet es eine ästhetisch außergewöhnliche Anziehungskraft. Bei dem erheblichen Format des Gemäldes erscheint die Treppe extrem überdimensioniert und erreicht in ihrer beinah heroischen Monumentalität eine überwältigende Wirkung. Das Sujet scheint durch das immense Ausmaß zusätzlich mit höherer Bedeutung ausgestattet zu werden, was zu einem zusätzlichen Irritationseffekt beiträgt. Was auf den ersten Blick ein banales, alltägliches Motiv erscheint, verwandelt sich anhand der monumentalen Inszenierung in etwas Außergewöhnliches und erweckt die zeremonielle Atmosphäre, die häufig mit roten Teppichen und ihrer Nutzung für besondere Anlässe und Empfänge von prominenten Personen assoziiert wird.

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