Wenn man vom ersten Semester bis zum Abschluss der Dissertation schon fast luxuriöse zehn Jahre Zeit hatte, sich ausschließlich mit bildender Kunst zu beschäftigen, bringt man natürlich viele Lieblingsstücke in sein Berufsleben mit. Bei mir waren das vor allem venezianische Zeichnungen, Gemälde und Druckgraphiken des 17. Und 18. Jahrhunderts. Alles Malerische, Gestische zog mich besonders an. Ich wollte überall „die Spur des Pinsels“ (oder des Stiftes oder Grabstichels) sehen. Mit der Arbeit im Museum hat sich der Vorrat meiner Lieblingsstücke sehr verwandelt und zugleich erweitert. Das alltägliche physische Erleben konkreter Kunstwerke aus allen Epochen, die zum Teil meinen täglichen Weg zur Arbeit säumen (wieder ein echter Luxus), hat neue und völlig unverhoffte Vorlieben bei mir entstehen lassen. Man kann Kunstwerke durch wissenschaftliches Argumentieren mit Bedeutung „aufladen“. Dagegen kann man Lieblingsstücke nicht herbeireden (oder –schreiben). Die Beziehung zu und Partnerschaft mit ihnen kommt völlig unverhofft und wahllos zustande. Vielleicht erklärt sich so das Geheimnis ihrer Dauerhaftigkeit?