Worum es geht

Beschreibung

Zu den Höhepunkten der Zeichenkunst Giovanni Battista Tiepolos gehört zweifelsohne das Blatt mit der Figur des rechts vor der »Afrika« knienden Mannes mit Sonnenschirm im Fresko des Treppenhauses der Würzburger Residenz (Massimo Gemin und Filippo Pedrocco: Giambattista Tiepolo. I dipinti. Opera completa, Venedig 1993, Nr. 415; Der Himmel auf Erden. Tiepolo in Würzburg, hg. von Peter O. Krückmann, Ausst.-Kat. Würzburg, Residenz [15.2.-19.5.1996], München und New York 1996, Bd. 1, Abb. S. 13, 109). Mit zartem Rötelstrich ist die Gestalt des jungen Pagen erfasst, ein wenig Weißhöhung setzt verhaltene Lichter. Bemerkenswert sind die Bewegtheit des Gewandes, so als hätte er sich gerade eben erst auf die Knie niedergelassen, sowie die vom Wind zerzausten Fransen des Sonnenschirmes. Stellenweise hat Tiepolo die Kreide etwas angefeuchtet und verrieben, um weiche Übergänge zwischen Licht und Schatten prägnanter zu gestalten, etwa beim Köcher und dem aus dem Weihrauchgefäß aufsteigenden Rauch, aber auch an einigen Partien des Gewandes. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Zuschreibung des Blattes an Giovanni Battista anerkannt. Vergleicht man es mit den Nachzeichnungen Giovanni Domenicos (1727-1804) nach den Würzburger Fresken, so lassen sich deutlich Unterschiede im Zeichenstil feststellen. So benutzt der Sohn beispielsweise in der »Asia« (Inv. Nr. C 1478) oder im »Flussgott Nil« (Inv. Nr. C 1499) durchweg ein weitaus kleinteiligeres Strichbild. Eng gesetzte Schraffuren und Verwischungen verunklären stellenweise Details wie die Partie von Kopf, Gewandansatz am Hals und Oberarm der »Asia«. Auch tauchen gerade in den Ricordi (Nachzeichnungen zur Erinnerung) stellenweise hart nebeneinandergesetzte Parallelstriche auf, etwa am Elefantenohr in der »Asia«. Giovanni Battista hingegen verwendet weitaus großzügigere, freie Rötelstriche, auch sind seine Schraffuren breiter. Die Funktion des vorliegenden Blattes ist vielfach diskutiert worden, wobei grundsätzlich die Frage im Vordergrund steht, ob es sich um eine Studie zum Fresko oder um einen Ricordo danach handelt. George Knox, der im Katalog der Ausstellung von 1970 alle Stuttgarter Zeichnungen als Studien Giovanni Battistas zu den Fresken ansieht, vertrat diese These auch in seiner Publikation über die Kreidezeichnungen von Vater und Sohn aus dem Jahre 1980. Bereits Wilhelm Boeck vermutete jedoch, dass es sich um eine Art »Muster-›record‹ von Giovanni Battista selbst« handelt: Auch der Vater hat sicherlich, ebenso wie der Sohn und andere Mitarbeiter der Werkstatt, Ricordi angefertigt, um den Würzburger Figurenschatz in Zeichnungen aufzubewahren. Der Gesamteindruck mit der höchst dekorativ platzierten Figur - darin den Ricordi Giovanni Domenicos eng verwandt -, vor allem aber die ausgesparte Sequenz am Boden und die angedeuteten Figuren rechts im Hintergrund lassen den Schluss zu, dass es sich beim »Mann mit Sonnenschirm« um eine Nachzeichnung Giovanni Battista Tiepolos nach der von ihm gemalten Figur im Fresko handelt. Da auch die Ricordi auf dem Gerüst entstanden sind und sich die Gestalt im rechten Teil des »Afrika«-Freskos befindet, ist sie wohl noch in die Sommer- und Herbstmonate 1752 zu datieren (der Bozzetto wurde am 21.4.1752 vorgelegt, der Vertrag am 29.7. unterschrieben, das Fresko wohl unmittelbar danach begonnen), vor dem Umsetzen des Gerüstes und der Entstehung der zweiten Hälfte des Freskos in den wärmeren Monaten des Jahres 1753. Die Funktion des Ricordo lässt sich an diesem Beispiel erklären, kehrt der Page doch, allerdings ohne Sonnenschirm und nun mit Kopfbedeckung - wie auch im Bozzetto für die Würzburger Treppenhausdecke - noch in der Ölskizze zum 1762/64 entstandenen Deckenbild »Die Glorie Spaniens« im Königspalast von Madrid wieder; dort kniet er ebenfalls vor einer »Afrika«. Im ausgeführten Fresko wurde diese Figur aufgegeben (Gemin/Pedrocco 1993, Nr. 516, 516a).

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