Worum es geht

Beschreibung

Auf dem in 1960er abgelösten ehemaligen Untersatzkarton fand sich die Bezeichnung »Titian«. Nur rund 50 Zeichnungen Tizians (1488-1576) gelten heute als eigenhändig. Sie spielten nicht nur für ihn, sondern im venezianischen Ausbildungs- und Werkprozess eine untergeordnete Rolle und waren eher Arbeitsgrundlage als Selbstzweck, d.h. kein eigenes Kunstwerk. Meist handelte es sich um erste Ideenskizzen (primo pensiero) mit raschen, oft nur andeutenden Federstrichen. Die darauffolgenden Zwischenstufen wie Einzel- und Modellstudien bis hin zu ausführlichen Kompositionsentwürfen fehlen. Auch in der Zeichnung suchten die Venezianer nicht wie römische und florentinische Künstler nach dem »disegno« und der Anatomie, sondern die Wirkung von Licht und Farbe stand in ihrem künstlerischen Fokus. Das vorliegende Blatt eines anonymen Venezianers aus dem 16. Jh. zeigt solche Ansätze, ist aber wohl doch nur eine Kopie nach einem Vorbild. Auffällig ist der stärkere Strich für den Leib des toten Christi, der die eigentlich vor ihm stehende Person überlagert. Auch spielt die Körperlichkeit nur eine geringe Rolle, desgleichen bleibt das Verzahnen der verschiedenen Bewegungsabläufe ebenso unklar wie ein sinnvoller Zusammenhang bei den Köperteilen der Begleitfiguren. Bernhard Degenhart sah dies als charakteristisch für die Eigenart der venezianischen Zeichnung an: Hauptmerkmal ist darin »ein rein optisch gesehener (nicht plastisch gebauter oder als Linie erfüllter) Strich, der der Wiedergabe von Eindrucksbildern bis zur Selbstauflösung dient« ((Bernhard Degenhart: Zur Graphologie der Handzeichnung. Die Strichbildung als stetige Erscheinung innerhalb der italienischen Kunstkreise, in: Römisches Jahrbuch 1, 1937, S. 270).

Text

Haben Sie Fragen oder Informationen zu diesem Objekt?

Kontaktieren Sie uns