Studienblatt (Herkules, Apoll auf dem Sonnenwagen); verso: Studien zu einem hl. Michael aus einem Engelssturz

Bei den Skizzen zu verschiedenen Figurengruppen in Untersicht handelt es sich wohl um erste Ideen (primo pensiero) zu einer Deckenkomposition. Mit äußerst freier Handhabung von Stift und Feder sowie einer Konturierung in kleinen aneinandergesetzten Strichen umreißt Girolamo Brusaferro seine Szenen nur flüchtig, doch eignet ihnen bereits in dieser frühen Entwurfsphase große Dynamik. Die fragmentarische Bildung des Konturs ist charakteristisch für seine Zeichenkunst, etwa im Vergleich zum »Raub der Europa« in Wien, in der in ähnlicher Weise der Entwurf zu einem Deckenbild vorliegt (Albertina, Inv. Nr. 24338; Padua 2002, Nr. 227, Abb. 276; https://sammlungenonline.albertina.at/#/query/bd0eda99-5e27-4b9a-bc22-2… ). Dennoch haben sich Riccardo Lucchetta (1987), der eher die Hand Antonio Belluccis (1654-1726) vermutete, und Anna Pietropolli (2002, Nr. 217, im Kapitel »Disegni di dubbia o errata attribuzione«) gegen eine Zuschreibung des Stuttgarter Blatts an Brusaferro ausgesprochen, was uns bisher nicht überzeugend erscheint. Dargestellt ist vermutlich der Kampf gegen Laster und Häresie: Ein Held, wohl Herkules, mit Schwert kämpft rechts oben gegen einen bärtigen Mann mit Turban und Zepter sowie ein kleines geflügeltes, löwenartiges Tier. Apoll auf dem Sonnenwagen in der Mitte des Blattes verkörpert das Licht der Wahrheit, vor dem eine weibliche Gestalt mit Fackel, wohl die Nacht oder die Unwissenheit, links unten entsetzt flieht. Auf der Rückseite der Zeichnung erscheinen mehrere Studien zu einem heiligen Michael, offenbar geplant für einen »Engelssturz«. Wahrscheinlich sind alle Szenen in den Zusammenhang eines größeren Bildprogramms einzuordnen, wie man es beispielweise im Bereich einer Klosterbibliothek finden könnte. Ein themengleiches Gemälde zum »Erzengel Michael, der die Teufel vertreibt« von Brusaferro befindet sich in San Michele in Rovigo (ebd., Nr. 66, Abb. 82).