Worum es geht

Beschreibung

Die Zeichnung bereitet eine der Figuren in dem 1743 datierten Gemälde von Michel-François Dandré-Bardon »L'Enfance (Die Kindheit)« aus der vierteiligen Serie »Âges de la vie (Die Lebensalter)« vor, die von einem engen Freund des Künstlers in Aix-en-Provence, Jean-Baptiste Laurent de Fonscolombe, in Auftrag gegeben wurde (Aix-en-Provence, Musée Granet; Daniel Chol: Michel François Dandré-Bardon ou l’apogée de la peinture en Provence au XVIIIe siècle, Aix-en-Provence 1987, Nr. 52-55). Bereits Claude-Jacques-Henri d'Ageville zählte die vier Gemälde in seiner »Éloge historique de Michel-François Dandré-Bardon« von 1783 unter dem Titel »Les Misères de la Vie (Das Elend der Kindheit)« auf. Zusammen mit »La Naissance (Die Geburt)« war »L'Enfance« 1743 im Salon ausgestellt: Nach beiden Bildern schuf Jean-Joseph Balechou (1716-1764) seitenverkehrte Stiche (hier Inv. Nr. A 36869). Scheint in der Zeichnung die Geste mit dem an den Kopf gehaltenen Taschentuch noch nicht eindeutig, so klärt sich die »Misere« im Gemälde bzw. im Stich: Dort ist der Schüler mit dem Buch in der Hand zusammen mit einem weiteren Zögling dem Groll des Hauslehrers ausgeliefert. Letzterer hat sein Buch fallengelassen und einen Holzlöffel gezückt, mit dem er den weinenden Knaben züchtigen wird. Im Kupferstich erläutert eine Textstelle aus den »Stanzas« von Jean-Baptiste Rousseau das tränenreiche Drama und dessen moralisierende Absicht: »Dans l'Enfance toujours des pleurs. Un Pédant porteur de tristesse, Des Livres de toutes couleurs, Des châtiments de toute espéce« (Die Kindheit ist eine Zeit der Tränen, eine Lehre in Sorgen. Mit Büchern jeder Couleur und allen erdenklichen Strafen). Zur Figur des Knaben wurde Dandré-Bardon offenbar durch eine Darstellung von François Boucher (1703-1770) angeregt: 1743 wurde eine umfangreiche Ausgabe von Molières Werken publiziert, zu der Boucher Illustrationen lieferte. Eine seiner vorbereitenden Zeichnungen hierzu in schwarzer Kreide in Londoner Privatbesitz zeigt u.a. eine ganz ähnliche sich leicht vorbeugende bezopfte Gestalt mit ausgestrecktem Arm und leicht fliegenden Rockschößen (Beverly Schreiber Jacoby: Newly Discovered Early Chalk Drawings by Boucher, in: Master Drawings 39, 2001, S. 303-305, Abb. 3). Es verwundert daher nicht, dass Ludwig Weisser in seinem ersten Bestandskatalog des Königlichen Kupferstichkabinetts 1863 die Hand Dandré-Bardons nicht erkannte und an große Zeitgenossen von Boucher dachte (Bü. 234): »anonym, an Watteau oder Lancret erinnernd«.

Text

Haben Sie Fragen oder Informationen zu diesem Objekt?

Kontaktieren Sie uns