Worum es geht

Beschreibung

Transkription: dessau den 11.11.28 burgkühnauerallee 5 lieber herr meyer, ich war heute sonntag sehr froh, Ihren brief zu bekommen. denn ich gab mich allerlei vermutungen hin, die sich nun glücklich als solche und unberechtigte ergaben. ich habe es vielleicht etwas leichter mit schlechtem gewissen und schweigen, da es tatsächlich eine folge des hochdrucks an arbeit war. nie häuften sich so die notwendigkeiten und verschiedenheiten der tätigkeiten. heute ist auch nur ein kurzer ruhe-und besinnungstag, noch heute abend muss ich wieder fort auf 5 tage, um dann freilich eine stetigere zeit hier zu beginnen. um es kurz zu nennen, was war: ein ballett in dresden an der staatsoper. musik von tschaikowsky titel der neubearbeitung "spielzeug" (es war aber schon in für ältere kinder), mühe-und leidensvolle tage dort, kampf mit dem fachmann jeder art. dies ist nun gewesen, d.h. "es läuft" wol bis in die weihnachtszeit hinein. wenn ich fotos habe, schicke ich statt aller reden. kritik desgleichen, gesammelt mit anderem. nun kommt wiederum ein ballett in hagen in westfalen: "vogelscheuchen", kurz, orginell, soviel mehr als das dresdener als es auch neu und speziell komponiert (musikalisch) und gedichtet (es wird auch gesprochen) wurde. dies wird 3 tage heftigster arbeit kosten. segen ist der mühe, der preis in pfenning sehr gering, der moralische vermutlich umso höher. dazwischen war ausstellung in berlin bei nierendorf. die ganz verschiedenartigen, interessante kritik folgt. glaser widmete auch mir anständiges. nachher brennt mir essen auf den fingern, die fresken im folkwangmuseum, bedeutssamer art, wo sozusagen das beste gegeben werden soll. auch hier dann fotos das verläufigen. ich möchte Sie dabei möglichst auf dem laufenden und urteil halten und wünschte mir grössere nähe. paralell dazu muss de bauhausarbeit gehen: unterricht " mensch" und bühnentheorie, aktzeichnen. werkstattarbeit der bühne und proben auf der bühne a) zu einem grossen februar-und faschingsfest im bauhaus (2. febr.) b) zu einer bedeutsamen erstaufführung in berlin an der volksbühne (und wahrscheinlich anderen theatern des reichs) 3. märz so shen Sie, hat mich kunst und leben, malerei und bühne, nach wie vor. auch natürlich fortzeugend wenigstens gebärend, denn es wird eines aus dem andern entstehen. dresden will anderes und grösseres noch unternehmen, wie überhaupt dresden eine stadt ist, die zu denken geben kann.zwar wie münchen und wien, gleich diesen alten residenz-und kulturstädte zurückgegangen, statt fürstengunst bürokratenherrschaft. dennoch durch grösse und vergangenheit ein etwas, das dessau z.b. völlig fehlt. ich stellte fest, dass ich in dresden die grösste zahl bekannter und freunde und wertvoller habe. was ich Ihnen schreibe, weisst in die richtung der früher schon einmal gemeinten, aber man soll nicht vor der schlacht sieg blasen. und hier? viel und mehr arbeit und inanspruchnahme als je. immer heisser boden. immer krisen, oft übertüncht, oft offenkundig. ich bin "es" etwas müde. vielleicht soll man auch nicht länger als die biblischen 7 jahre an einer stelle dienen. hannes m. zwar wolgesinnt und helfend, aber auch fordernd. "ein schaffer". sicher überaus fleissig, rege, organisierend, herbeischaffend, genau, ein volksmann, manchmal infolgedessen mehr bauer als edelmann, um in solchem katarakt der prädikate ihn zu karakterisieren. aber er wirds schaffen und die lage scheint, seit gropius abgang, entspannt. um letzteren ist es stille gewrden in berlin, z.zt. wenigstens. haben Sie hubers adresse? Ihren "interessen", die schöne und die ewigen sind, möchte ich gerne die meinen gegenüber - oder beisetzen. doch muss ich dies thema vertagen. dann mit grossem "interesse". probst in dresden (wie viele kunsthändler der moderne schwer ringend) sprach und spricht immer sehr rührend und schätzend von Ihnen, bedauernd, dass s. zt. nichts gelang. der aufsatz!! o! er ist mitvertagt! ich hoff ihn zu schreiben, wenn ich "im bilde" bin, d.h. wenn ch selbst beim bilde bin und das ist, wenn (ich) an den fresken arbeite voll und ganz. Ihrer liebenswerten einladung, Ihrem herrn bruder etwas von mir vorzulegen, willfahre ich gern, sobald ich wieder in besitz meiner sachen bin. (von berlin zurück, sofern sie nicht weitergehen, sonstwohin). ist es sehr kompliziert zu schicken? der "träumer", ist es der "sinnende"? vermutlich, hängt in stuttgart in museum. ein kleines, gelegentliches hat neuerdings mannheim. dort auch drei der aquarelle. die besten. von der reihe der fast 20 aquarelle fand eines die schätzung und beachtung aller, auch mannheims. es ist sonderbarerweise das "barockste". eines hat baumeister, der nun in frankfurt haus und bald auch kind haben wird. da ich nicht weiss, wie die ferien an weihnachten sich ausnehmen werden, ob ich sie opfern muss zugunsten der essener sachen, ob TUT nach mittelberg mit den kindern geht oder alles hier bleibt, möchte ich auch nicht zu sehr dem wunsch raum geben, in diesen ferien (vom 22.12 bis 15.1) nach zürich zu kommen. es ist eine weite reise, aber eine sehr gewünschte.- da könnte ich transporteur meiner eigenen sachen sein, zur ansicht.- misslingt der plan, dann muss es der sommer sein, wenn nicht ostern. in berlin sah ich eine gauguinausstellung. ohne sehr tiefe eindrücke. auch ohne hauptwerke.- ich wünschte seurat zu sehen. übrigens: ich glaube, dass- in nachwirkung Ihrer stillen ausstellung, durch die umstände des inoffiziellen bei itten- privatliebhaber Ihrer sachen, wenn solche da wären, da wären-- und ich glaube, dass dieser stillen eine lautere ausstellung in berlin leicht nunmehr folgen dürfte. (das interesse das handels ist sicher wachgerüttelt). aber ich weiss nicht, wie Sie selbst darüber denken, als nunmehr in nicht allzu zwangvoller lage. last not least: dieses letzte sollte das erste sein. verzeihen Sie, dass es am schluss steht. immer herzlich Ihr Oskar Schlemmer Die Kritiken gelengentl. zurückerbeten. kritik (ausstellung bei nierendorf berlin lützowstr. 32) adolf behne/ welt am abend 30.10.28 "der eindruck der intensität und der unsentimentalen festigkeit bleibt, wenn wir im salon nierendorf vor den bildern o.s.'s stehen. das ist einer der besten deutschen dieser zeit, von einer bedeutung, wie sie hans von marées vor 50 jahren hatte... ein bauender, raumschaffender, raumordnender geist, der längst, wenn die deutsche republik nicht ein arger kunstbanause wäre, zu grossen monumentalen aufgaben berufen wäre. ein bild von schlemmer wiegt einen ganzen saal kronprinzenpalais auf, daher ist er dort auch nicht vertreten. dass jetzt das essener folkwangmuseum das werk von osthaus fortzuführen hat, schlemmer den auftrag zu einigen wandbildern in seinem neubau gegeben hat, ist höchst erfreulich." dr. p.f. schmidt/ magdeburgische zeitung/ anh. anzeiger 11.11.28 "die interessanteste erscheinung ist o.s., meister am bauhaus dessau, in der galerie nierendorf. man hat ihn in solcher vollständigkeit noch niemals gesehen; und dennoch wirkt er fragmentarisch, weil seine kunst sich durchaus nicht in gemälden erschöpft. er malt abstrakte menschnfiguren in kontrapostischen stellungen und ruhelagen, als raumbildende, raumfüllende symbole; liebenswürdiger in aquarellen, streng und monumental im ölbild. aber diese herben und schwer zugänglichen gestalten sind nicht als bilderfiguren gedacht, ihre eigentliche funktion erleben sie erst als wandbild in bestimmten räumen, die sie ausdeuten, wie es 1923 in der weimarer bauhausausstellung zu erkennen war. Ihre konstruktivität hat mehr verwandtschaft mit dem geist der funktionellen architektur als mit bildgestaltung, die mehr oder weniger auf wirklichkeit basiert. man wird das was schlemmer mit ihnen ausdrücken will, demnächst im folkwangmuseum in essen erkennen können, wo er einen umfassenden auftrag in freskotechnik ausführen wird. dr. max osborn/ vossische zeitung "zu gleicher zeit, damit man de mannifaltigkeit der modernen kunstsprache in deutschland ja recht erkenne, stellt bei nierendorf o.s. vom dessauer bauhaus neue arbeiten aus. das ist wie ein gegenspiel zu fuhr. denn schl. ist einer, der seine bilder streng und kühl baut, den raum organisiert, mit vereinfachten menschenfiguren eine klare ordung der fläche treibt. es sind bilder, die mit den mitteln der malerei ähnliches suchen, wie unsere jüngeren architekten mit der neutral-unsentimentalen sprödigkeit ihrer hellen räume. so muss man sie betrachten, aus diesem gereinigten, sachlich filtrierten modernen empfinden. namentlich die jüngsten gemälde sch.'s scheinen mir dem edlen ziel sehr nah. das konstruktive ist auch hier sehr bewusst, gewiss. aber es wird in eine freiere geistige sphäre als früher gehoben durch einen zarteren schmelz und klang der farbe. curt glaser/ börsencourier 20.10.28 "merkwürdig zwischen zarter lyrik und harter geometrie schwankt die kunst o.s.'s. eine ungewöhnliche feine empfindsamkeit bestimmt die beziehungen der massen, die rythmen der farben und töne in schl.'s bildern. aber diese empfindungsfähigkeit sucht vergebens nach einem festen halt an einem ihr gemässen gegenstand, und durch die angst einer formlosigkeit, in die ein ebenfalls lyrisch gestimmtes talent wie giacometti verfällt, wird schl. zu klassizistischen profilen und linearen konstruktionen gedrängt. so entstehen seltsam widerspruchsvolle gbilde, bildversuche mannifaltiger art, ansätze zu kunstwerken höchst eigenartigen gepräges. aber immer wieder stellt sich jene hemmung ein, jener zweifel an der möglichkeit einer neuen bildform, der sch. dazu geführt hat, seine formvorstellung in merkwürdigen tanzpantomimen zu realisieren. es ist die frage, ob sch, im stande sein wird, die problematik zu überwinden, in der er heute gefangen ist. wünschen möchte man, dass eine so wertvolle begabung aus unfruchtbaren versuchen den weg zu reinen erfüllungen fände." prof.dr. oskar bie/ dresdener neueste nachrichten 4.11.28 "die rückkehr zum gegenstand und zur wirklichkeit, die nach ihm (kandinsky) die malerei bewegte, macht sich heute überall geltend. ein man wie der stuttgarter schl., jetzt in dessau, der bei nierendorf zu sehen ist, möchte sicherlich über seine reinen rythmen, seine akkorde von linien und farben irgendwie hinüber zur wirklichen welt, aber die form hält ihn noch in der abstraktion und er erfindet balette, um die körper als träger seiner ideen zu engagieren und die äussere natur einzubeziehen, da er zu der inneren noch das verhältnis sucht. bruno e. werner/ deutsche allgemeine zeitung 24.10.28 "wenn xaver fuhr eine liebenswürdige und feingestimmte musik macht, so arbeitet der gleichzeitig ausstellend o.s. vom dessauer bauhaus mit orgeltönen. diese strengen und sehr überlegt gebauten figurenbilder, die sehr einfach und symaphisch sind, aber zugleich monoton und stark programmatisch anmuten, drängen nach monumentalen aufgaben hin. in diesen kleinen tafelbildern werden sie ihren wesenszug nicht offenbaren. sie sind im schwachen sinne des wortes: dekorativ, im starken sinn: überpersönlich. es würde sich in zusammenarbeiten mit einem architekten auf grossen wänden erweisen, ob diese überpersönlihkeit vielleicht jenen starken mythischen charakter erreichen würde, auf den sie hinzielen." anton mayer/ 8-uhr abendblatt 22.10.28 "sch. hat sich ein merkwürdiges körperideal zurechtgemacht, das seinen ursprung in der puppenhaften form jener plastik hat, die jetzt mit vorliebe als träger von kleidern und anderen modedingen benutzt werden. auf einigen arbeiten ist es ihm gelungen, die einfachheit der erscheinung tatsächlich ins monumentale zu steigern; es findet sich in einigen profilfiguren eine gewissen ähnlichkeit mit griechisch-archaischen reliefs. anderes bleibt allzusehr in der religion der schaufensterpuppen hängen; aber man sieht immerhin den willen eines künstlers, auf nicht gerade gewöhnlichem wege die lösung seiner aufgabe zu finden."

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