Sehr geehrter Herr Graf! Erst heute komme ich dazu...

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What it is about

Beschreibung

Transkription: Oskar Schlemmer Eichberg Post Bühl. Amt Waldshut Baden den 22.Mai 1934 Herrn Graf Baudissin, Direktor des Museum Folkwang Essen Bismarckstrasse 64 Sehr geehrter Herr Graf! Erst heute komme ich dazu, Ihren eingehenden Brief vom 4.ds. zu beantworten. Eine Reise nach Bern, wo ich die Hängung der gedächtnisausstellung meines verstorbenen Freundes Otto Meyer Amden zu hängen und den Eröffnungsvortrag zu halten hatte, sodann dringende Haus-und Gartenarbeit sind die Ursachen der Verzögerung. Ich danke Ihnen für die Wettbewerbsbedingungen, aus denen ich ersehen musste, daß ich bereits zu alt geworden bin. Aber ich danke Ihnen für die Versicherung, dass mit den Tafeln nichts geschehen soll, solange Sie im Amte sind. Ich habe, als mir das Thema »Die jungmännliche Bewegung in unserer Zeit« gestellt wurde, übrigens ungefähr und nicht unbedingt bindend, nichts und auch wieder viel gedacht. Nichts insofern, als durch die 5 Knaben Minne's eigentlich das Thema bereits angeschlossen war, so, daß wohl zu denken gewesen wäre, dass sich das plastische Thema nun auf der Wand ins Flächenhafte zu wandeln hätte; nichts auch insofern, als meine malerische Ideenwelt gern um das Thema der Jünglingsfigur kreist und dies widerum besonders deßhalb, weil es das Thema meines obengenannten Schweizer Freundes war (ich bemerke fast erst soeben, dass ich weder Babys noch alte Menschen gemalt habe!)- Sicher ist es kein Zufall, wenn sich Maler der Darstellung eines bestimmten Menschentypus widmnn. Im Falle meines toten Freundes war der Jünglingstypus eine sehr weitreichende Idee, die für ihn eng mit der Idee Deutschland verbunden war, eines erträumten, erhofften Deutschland, auf dessen Weg er Adolf Hitler kommen sah (den Sieg des Nationalsozialismus erlebte er nicht mehr. Er starb am 15.Jan.33). Dieser Schweizer hat (in seinen bewunderswerten Briefen Worte für ein zukünftiges Deutschland gefunden, die in ihrer Echtheit und Unbedingtheit manchen deutschen Nationalsozialisten beschämen würden. In seinem Werk, das nun in den Kunsthallen von Zürich, Basel und Bern erstmals in seinem ganzen Umfang gezeigt wurde, hat er einer deutschen Kunst neue Wege gewiesen, die - wiederum in ihrer Echtheit und Unbedingtheit- so recht für die Kunst und das Schicksal eines gegenwärtigen Deutschland bestimmt waren. Otto Meyer hat die Jugend in einem kaiserlichen Deutschland, die Stürmer von Langemarck, zuvor auch die »jungmännliche« Jugenbewegung (vor dem Einbruch der Mädchen!) hochgeschätzt und deren Weiterentwicklung im nationalsozialistischen Deutschland kommen sehen, welcher ausgesprochen männliche und jung-männliche Charakter der Bewegung doch wohl außer Zweifel steht;- sodaß es nun an mir ist, mich darüber zu verwundern, Herr Graf, daß Sie nicht zu wissen vermeinen, »was die jungmännliche Bewegung ist«! Wenn Sie aus dem Hitler-Deutschland diese streichen würden, so fiele ein Großteil seines Wertes in sich zusammen. Ich habe in früheren Essener Entwürfen und besonders in einer Reihe kleiner Skizzen das Kollektive bis zu Aufmärschen von Jugendgruppen gesteigert, was ich mir heute noch- oder gerade heute wieder- denken könnte, wobei das »Vielfigurige« nur eine Gestaltungsfrage wäre. Es ist ja alles zuguterletzt eine Gestaltungsfrage. Ich gebe gerne zu, dass nicht alles bei meinen Tafeln gelungen ist; aber in einigen habe ich doch mein Bestes geben können. Zurückstellung der Inhalt-Ideen zugunsten der Form- Ideen war es wohl, was den gegenwärtigen Charakter meiner Tafeln ausmacht. Die (vorgestellten) Inhalte konnte ich formal noch nicht gestalten, aber ich konnte formen. Es sind Viele, die noch nicht einmal das können! Ach würde es doch dem Erneuerungswillen der Gegenwart, auch in Kunstdingen gelingen, die Verwirrung der Kunstbegriffe zu klären! Es müßte von den heute maßgebenden Kräften alles getan werden, dies wenigstens zu versuchen. Denn ich sehe vorerst nur Verwirrung und Mißverständnis.- Ich für mein Teil weiß nur dies: ich will und wollte von jeher, bewusst oder unbewußt, das Wand-Bild und nicht das Rahmenbild. Gerade weil, wie Sie sehr richtig schreiben, »heute die Malerei ganz am Schlusse liegt, während die Architektur führt«, sind die Bestrebungen um die Wandgestaltung in der Malerei nicht nur die der Situation und Zeit gemässesten als auch die ungelösten. Ich für mein Teil glaube, auf eine natürliche Weise für diese Seite der Malerei prädestiniert zu sein. Die Folge davon ist, daß ich mit dem Maßstab des Rahmenbildners gemessen und missverstanden wurde. Vorkriegsproblematik- Nachkriegsproblematik!- Ich weiss nicht, wohin ich gehöre und sehe auch die Träger der betreffenden Banner schwanken. Ist Richard Strauß keine »Persönlichkeit, die Gestalter der Vorkriegsproblematik geworden« ist und heute »als Bannerträger der neuen Kunst aufmarschiert«? Warum ist auf der einen Seite recht, was auf der anderen nicht billig sein darf? Womit nichts gegen Richard Strauss gesagt sein soll wie überhaupt nichts gegen jeglichen Schöpfer, hingegen etwas gegen die Rahmabschöpfer der Vor-Nach und Jetztkriegszeit, die allezeit verstanden, da zu sein, wo der Vorteil winkt. Es soll auch nichts gegen das unvermeidliche Allzumenschliche gesagt sein, aber etwas gegen die Verwirrung die es stiftet, wenn es mit dem Gewande der Kunst verbrämt auftritt.- Es könnte nun fast scheinen, als sei ich verbittert. Dem ist nicht so. Ich sehe mit grosser Gelassenheit der Entwirrung der Kunstdinge entgegen und mit einem beträchtlichen Glauben an das unzerstörbare Deutsche, das sich naturnotwendig durchsetzen wird. Wahrscheinlich werde ich dem Schicksal einmal dankbar sein, das mich aus dem Großstadtgetriebe heraus nunmehr aufs Land verpflanzte. Denn Unirritiert, wie ich hier zu leben und zu denken hoffe, glaube ich, besser in die Scheunen zwingen zu können, was sich als Erkenntnis aus der bisherigen Arbeit ergeben wird. Die Gelassenheit wird nur gestört, wenn ich offensichtlichem Unrecht begegne. Durch den Heiweis auf meinen verehrungswürdigen toten Freund Meyer Amden glaube ich Ihnen schon angedeutet zu haben, wer in den letzten zwanzig Jahren in Wirklichkeit hinter mir stand! Nicht »eine kunstliterarische, vermutlich nicht jugendfreie Clique«, sondern eben dieser reine große Mensch und Künstler. Dieser war mein wahres Kriterium und die über 200 Briefe, die ich von ihm besitze, werden einmal erweisen, welcher Art die Problematik war, die uns bewegte.Ich musste mich gegen den Vorwurf der Judenclique schon einmal wehren. Ich forschte nach, da ich mir keiner Sünde bewusst war. In Stuttgart war es nur Frau Lilly Hildebrandt, in deren Haus aber auch Nationalsozialisten von heute verkehrten. Im Bauhaus soll nur Moholy-Nagy tatsächlich Jude gewesen sein, doch sogar dieser Fall wird bestritten. Es bleiben Herwarth Walden und Flechtheim, die Kunsthändler, bei denen ich allerdings auch einmal ausgestellt hatte, doch nie zu deren Schoßhündchen gehörte wie andere Glückliche, denen das Glück auch heute noch hold ist. Wäre ich von einer Judenclique umgeben gewesen, so wäre es mir in diesen 14 Jahren besser ergangen, vielleicht auch heute. Ich habe das wenige Geld, das ich sah, an Versuche gehängt, an Bühnenexperimente, an ein Ballett, das ich nicht müde werden werde, als ein typisch deutsches Ballett zu bezeichnen, solange ich nichts anderes dagegengestellt sehe. Ich habe oft das Gefühl, als würde mit den Künstlern der Vor-und Nachkriegszeit heute umgegangen wie einem Ramschgeschäft: es wird gewogen und meist zu leicht befunden und sicher wird von neuem sehr geirrt. Wer auch will der unfehlbare Richter sein? DD in der bildenen Kunst, wie mir scheinen will, so besonders rigoros alles Bisherige negiert wird, so erwartet man den Messias der Kunst des neuen Deutschland. Ich bin, vermutlich mit Ihnen, bereit, ihn anzubeten, wenn er unsere Erwartungen erfüllt, besser noch, sie übertrifft. Mit deutschem Gruss Ihr sehr ergebener

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