Worum es geht
Am Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich die Porträtauffassung für die Personengruppe der Gelehrten und Staatsmänner, betrieben doch Staatsmänner mitunter eigene literarische Beschäftigungen, die zu ihrer Zeit durchaus anerkennend wahrgenommen wurden. Im 18. Jahrhundert begann jedoch die Tendenz, das ornamentale und allegorische Beiwerk in Porträts bedeutender Persönlichkeiten wieder zurückzunehmen zugunsten einer wirklichkeitsnahen Darstellung im Kontext der Tätigkeit. Konzentrierter Blick, leichte Wendung des Kopfes, ein nachdenklicher Moment bei der intellektuellen Arbeit: solche Merkmale der Charakterisierung einer Persönlichkeit blieben bestimmend gerade für Gelehrtenporträts. Der europaweit renommierte Kupferstecher Johann Gotthard Müller verwendete sie im Porträt des Dichters Friedrich Schiller, nach einer Vorlage von Anton Graff. Das Bild erschien im Verlag J.F. Frauenholz zu Nürnberg, für die Johann Gotthard Müller auch weitere Porträtstiche lieferte. Porträts sind bei Johann Gotthard Müller die größte Einzelgattung. Diese nimmt nach der Akademieausbildung und der Rückkehr nach Stuttgart eine herausragende Stellung innerhalb des Werks ein. Aufgrund inhaltlicher und formaler Aspekte lassen sich die Porträts in drei Gruppen unterteilen, nämlich die Künstlerporträts, die Bildnisse von Gelehrten und Staatsmännern sowie diejenigen von Herrschern und Prinzen. Generell unterlagen die Porträts einigen technischen und theoretischen Prämissen, die die Stecher zu berücksichtigen hatten. Als typische nahsichtige Arbeiten, mussten Bildnisse detailliert sein, durften aber keine übertriebene Genauigkeit aufweisen. Das Inkarnat sollte dem jeweiligen Alter entsprechen, für Männer durchaus einen kräftigen Eindruck hinterlassen, bei Frauen dagegen eine weiche und zarte Erscheinung erzeugen. Dabei waren Kreuzschraffuren in den Hauptpartien zu vermeiden, um eine zu glatte Oberfläche zu verhindern. Ziel war eine lebendige und ähnliche Darstellung, wobei sich die Ähnlichkeit nicht auf diejenige zwischen Dargestelltem und Stich reduzierte, sondern sich auch auf die Beziehung zwischen Gemälde und Zeichnung und Stich bezog, wenn die Druckgraphik nicht nach eigenen Studien nach der Natur entstand. Das Schillerporträt weist viele Merkmale auf, die auch für Künstlerporträts charakteristisch sind. Schiller gilt als der bedeutendste deutsche Dramatiker. Viele seiner Theaterstücke gehören zum Standardrepertoire der deutschsprachigen Theater. Auch als Lyriker war er erfolgreich: Seine Gedankenlyrik wurde exemplarisch, seine Balladen zählen zu den beliebtesten deutschen Gedichten. Schiller gehört mit Wieland , Goethe und Herder zum Dichter- und Gelehrtenkreise der Weimarer Klassik. Nur im Schillerporträt findet sich in der Gegenüberstellung von Rock und weißem Hemd und in der Differenzierung des Rocks eine ähnliche Wirkung. Dabei zeigt sich in diesem Bildnis Müllers generelle Tendenz in der Behandlung verschiedener Stofflichkeiten. Müller arbeitet auch in den für seine Verhältnisse weniger präzise gestochenen Blättern technisch sorgfältig und detailliert, auch wenn die Akribie der Texturen und des Inkarnats hinter den Künstlerporträts zurückbleibt. Gerade im Porträt von Schiller wird manifestiert, dass es sich bei den anderen Porträts nicht um Künstler handelt. Obwohl Müller nach einem kaum vollendeten Gemälde stach, entsteht eine Spannung zwischen dem einfachen und dem differenziert ausgearbeiteten Bildfeld. Die einzelnen Texturen sind fein voneinander abgesetzt, auch wenn die Stoffwirkungen im Vergleich zu den Künstlerporträts weniger effektvoll sind. Diese Ausarbeitung ist mit dem jeweiligen Gemälde verbunden, denn es war von den Stechern gefordert, das Original möglichst adäquat umzusetzen, so dass nur angelegte oder angedeutete Effekte auch nur zurückhaltend umgesetzt wurden. Neben dieser adäquaten Umsetzung des Gemäldes wurde von gemalten wie von druckgraphischen Porträts aber gefordert, dass die Wiedergabe nicht nur äußerlich der dargestellten Person ähnlich sein, sondern auch deren Charakter zeigen sollte. Diese Kategorie der zweifachen Resemblance wurde bei Müller in allen Porträts als erfüllt gesehen. Weniger die äußerliche effektvolle Durcharbeitung als die gefühlvolle Auseinandersetzung und Umsetzung der Erscheinung sowie der charakterlichen Wirkung galten in der deutschsprachigen Kunstkritik als entscheidende Kategorien. Das andere Merkmal betrifft die Umrahmung (oben Feder und Posaune, Lorbeer- und Eichlaubzweig). Auch wenn Müller galerieartige Einfassungen verwendete, wie in dem Bildnis von Schiller, blieb ein scheinarchitektonischer Eindruck bestehen, der aus der hinterfangenden Wand resultiert. Insgesamt zeigt sich also in den Porträts von Johann Gotthard Müller eine Ambivalenz in der Präsentation durch Rahmenformen und deren Verständnis sowie in der stofflichen Differenzierung. Während die Künstlerbildnisse von Beginn an die Effekte berücksichtigen, sind die frühen Gelehrtenbildnisse eher zurückhaltend, und erst um die Jahrhundertwende zeigen sich auch in den anderen Bildnissen Effekte, die denjenigen der Künstlerporträts vergleichbar sind. [CM]
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