THIS IS TOMORROW – ein Rundgang

Unsere Gegenwart ist heterogen, global und diskursiv. Das zeigt »THIS IS TOMORROW« mit über 100 Werken, die medienübergreifend eine Vielfalt an Perspektiven von Künstlerinnen und Künstlern zeigen, deren unterschiedliche Erfahrungen und Lebenswelten in ihre Werke einfließen. Der zeitgenössischen Kunst gegenübergestellt sind Werken des 20. Jahrhunderts, denn aktuelle Themen wie ökologische Krisen, Krieg und Terror, die Auseinandersetzung mit Identität und dem menschlichen Körper sowie die grundsätzliche Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenleben bestimmen das künstlerische Schaffen schon seit mindestens einem Jahrhundert und bieten Anstöße zum Nachdenken über unsere Zukunft. 

»THIS IS TOMORROW« zitiert den Titel einer kleinformatigen Bildcollage des britischen Künstlers Richard Hamilton, die eine fantastische Architektur zeigt und verdeutlicht: Die Zukunft ist eine Utopie, an die es sich auch in krisenreichen Zeiten zu glauben lohnt.

Körperbilder – Identitäten

»Do women have to be naked to get into the Metropolitan Museum?«, fragten die Guerilla Girls bereits 1985. Diese provokative Frage hebt hervor, dass westliche Künstler den weiblichen Körper seit Jahrhunderten oftmals zur Projektionsfläche degradiert haben, während Werke von Künstlerinnen im Museum unterrepräsentiert bleiben. 

Die in diesem Raum ausgestellten Werke setzen sich kritisch mit dem menschlichen Körper und seinen gesellschaftlichen Zuschreibungen auseinander. Künstlerinnen wie Anys Reimann, Deborah Roberts und Eleonor Antin kommentieren auf teils humorvolle oder ironische Weise das konservative und konformistische Frauenbild und präsentieren Gegenentwürfe zu konventionellen Porträterzählungen. Anys Reimann verwendet die Collagetechnik, um Gesicht und Körper fragmentarisch zusammenzusetzen und dynamische Konzepte von Identitäten zu vermitteln. Auch das Künstlerduo Nathalie Djurberg und Hans Berg hinterfragt in ihrer Videoarbeit »Damaged Goods« soziale Normen und Geschlechterstereotype.

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Gewalt – Erinnerung

Krieg, Gewalt und Tod gehören zur menschlichen Existenz und seit dem Anbeginn des künstlerischen Schaffens sind deren Darstellung und Verarbeitung auch zentrale Themen zahlreicher Künstlerinnen und Künstler – bis heute. Einige, wie die Künstlerin Käthe Kollwitz, haben auf teils sehr persönliche Weise die unmittelbaren Auswirkungen von Krieg, Verlust und sozialer Ungerechtigkeit in ihren Werken festgehalten. Kollwitz’ expressionistische Grafiken und Zeichnungen sind kraftvolle Manifestationen des menschlichen Leids und des Kampfes gegen Unterdrückung. 

Andere hingegen, wie die mexikanische Installationskünstlerin Teresa Margolles oder der Maler Norbert Bisky, konfrontieren uns auf metaphorischer Ebene mit den physischen und emotionalen Folgen von Drogengewalt oder den Erfahrungen eines Terroranschlags und zeigen so die vielfältigen Facetten von Gewalt als aktuellem globalen Phänomen auf: von der physischen Brutalität bis hin zu subtileren, psychologischen Formen. Jede künstlerische Auseinandersetzung mit Gewalt knüpft an eine gemeinsame Erfahrung an, an ein kollektives Wissen über Verlust, Tod und Trauer. Keine Darstellung lässt die Betrachtenden unberührt, sondern wird immer eine persönliche Emotion auslösen.

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Zustände – Zukünfte

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Schon in den 1970er Jahren warnten Umweltschützer vor den dramatischen Folgen der globalen Erderwärmung und heutige Generationen spüren vielerorts direkte Auswirkungen auf ihr Leben.

Von der unmittelbaren Gegenwart richtet sich der Blick in die Zukunft und wirft die drängende Frage auf: Wie sieht unsere Welt morgen aus? Diese elementare Frage beschäftigt seit Jahrzehnten auch künstlerische Diskurse. Bereits vor über 50 Jahren stellt die japanisch-amerikanische Künstlerin Yoko Ono in »Air Dispenser« die zukünftige Verfügbarkeit von Ressourcen, die bisher unbegrenzt und kostenlos vorhanden waren, in Frage. Im Jahr 2019 generiert Hito Steyerl mithilfe von Künstlicher Intelligenz einen Garten der Zukunft, »Power Plants«, der sowohl utopische als auch dystopische Züge trägt und ironisch die Glaubwürdigkeit von KI in Frage stellt. Cy Twomblys »Natural History«, in der er die Naturgeschichte durch eine fiktive Ordnung seiner individuellen Weltanschauung ersetzt, erhält durch Klimawandelleugner, die wissenschaftlich belegbare Tatsachen bestreiten, eine neue Aktualität.

Die gezeigten Werke kritisieren aktuelle ökologische und soziale Zustände und fordern uns dazu auf, unsere Rolle in möglichen Zukünften sowie unsere persönliche und kollektive Verantwortung in einer von Menschenhand veränderten Umwelt zu reflektieren.

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Partizipation – Dialog

Im 20. Jahrhundert begannen Künstlerinnen und Künstler, neue Formen der Interaktion mit dem Publikum zu erkunden, indem sie ihre Werke zur Teilhabe oder Nutzung freigaben. Der kreative Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Künstlerinnen, Künstlern und dem Publikum rückten dabei in den Vordergrund. Der Dichter und Aktionskünstler Dieter Roth konzipierte zwischen 1979 und 1998 seine »Bar 0« als einen Ort der Begegnung und des gemeinsamen Erlebens. Indem er uns als Gäste einlädt, an dem Tisch Platz zu nehmen, bricht er mit der traditionellen distanzierten Betrachtungsweise und schafft eine neue, aktivere Form der Rezeption. Ähnlich lädt die südkoreanische Installationskünstlerin Haegue Yang das Publikum dazu ein, ihre aus Glöckchen und Knäufen bestehende Halbkugel in Bewegung zu erleben. Durch die aktive Interaktion entfaltet die Installation eine neue visuelle und akustische Dimension und regt zu spielerischer Entdeckung an.

Der französische Medienkünstler Clément Cogitore greift bewusst Elemente und Materialien aus verschiedenen kulturhistorischen Kontexten auf und dekonstruiert diese, um ihnen neue Bedeutungen zuzuschreiben. Seine Videoarbeit basiert auf dem barocken Opernballett »Les Indes galantes« des französischen Komponisten Jean-Philippe Rameau aus dem Jahr 1735. Rameau ließ sich von Tänzen verschiedener indigener Bevölkerungsgruppen inspirieren und integrierte deren Rhythmen und Bewegungen in seine Komposition. Anstatt auf kolonialistische Stereotype zurückzugreifen, tanzen in Cogitores Video Jugendliche zu Rameaus Musik im Tanzstil K.R.U.M.P. Dieser geht auf die gewalttätigen Unruhen in Los Angeles im Jahr 1992 als Reaktion auf den Freispruch der Polizisten im Fall Rodney King zurück. Der interkulturelle Dialog zwischen etablierter Tradition und zeitgenössischem Ausdruck zeigt, dass die Grenzen zwischen unterschiedlichen Kulturen durchlässig sind, und so neue Formen des Miteinanders entstehen können.

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Pop – Kritik

Gegenstände des Alltags, der Werbung und der Massenmedien dienen Künstlerinnen und Künstlern bis heute als zentrale Inspirationsquellen, um die Oberflächlichkeit und Konsumorientierung der Gesellschaft zu kritisieren und die dahinterliegenden kapitalistischen Mechanismen aufzudecken. So verwendet der amerikanische Künstler Jeff Koons ikonische Figuren wie den Hulk aus dem gleichnamigen Comic, um die Vermarktung von Popkultur und die Trivialisierung von Heldenbildern zu hinterfragen. Ähnlich verfremdet die deutsche Bildhauerin Katharina Fritsch massenhaft produzierte Madonnenfiguren aus Gips, die in ihrer gelben Farbgebung an Waren im Supermarkt erinnern, und hinterfragt die Kommerzialisierung von Religion und Spiritualität.

Sie knüpfen damit an eine künstlerische Tradition an, die etwa Andy Warhol oder Roy Lichtenstein in den USA Anfang der 1960er Jahre begründet haben. Jene Künstler greifen Motive aus Werbeanzeigen oder Comics auf und vervielfältigen diese teils durch Siebdruck, als Echo auf die massenhafte Verbreitung von Bildern in der Popkultur. Damit formulieren sie eine künstlerische Antwort auf die damals vorherrschende abstrakte Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg, die mit großformatigen Gemälden von Jackson Pollock oder Barnett Newman auf der »documenta II« in Kassel 1959 ihren Höhepunkt feierte. Die hier gezeigten Werke spiegeln den Zeitgeist der Popkultur wider und etablierten eine neue künstlerische Ausdrucksform.

In Europa wenden sich viele jüngere Künstlerinnen und Künstler vermehrt der figürlichen Darstellungen zu, im deutschsprachigen Raum u.a. Maria Lassnig, Sigmar Polke oder Gerhard Richter. Politische und soziale Themen, die durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und die politischen Spannungen des Kalten Krieges geprägt waren, finden in den Werken von Ulrike Ottinger oder A.R. Penck vielfältigen Ausdruck. Der Einfluss der Medien und die zunehmende Durchdringung des Lebens durch Konsum, Politik und Werbung werden kritisch hinterfragt. Dabei stellten sie die Frage nach der Authentizität und dem Wert von Kunst in einer durch Kommerz geprägten Welt.

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Konzepte – Ideen

Marcel Duchamp, oft als Wegbereiter der Konzeptkunst angesehen, erweiterte mit seinen Ready-mades radikal die Vorstellung davon, was Kunst sein kann. Indem er Alltagsgegenständen, wie einem Flaschentrockner, neue Interpretationen und Kontexte zuweist, legt er den Grundstein für eine Kunstform, bei der die Idee hinter einem Objekt mehr Gewicht erhält als das Objekt selbst.

Die Konzeptkunst verlegt den Schwerpunkt von der tatsächlichen Ausführung eines Kunstwerks hin zur künstlerischen Idee. Die hier gezeigten Werke regen so einen Dialog über die (Genre-)Grenzen und Definitionen von Kunst an. Entstanden aus der Minimal Art der 1960er Jahren, hat die Konzeptkunst maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Gegenwartskunst. Ein zerknülltes Papier als Kunstwerk? Die Frage »Was ist Kunst?« bestimmt die künstlerische Produktion und die verwendeten Medien, Themen und künstlerischen Prozesse werden zur Diskussion gestellt.

Die hier gezeigten Werke fordern uns dadurch heraus, eigene Interpretationen zu entwickeln und den Wert sowie die Bedeutung der Kunstwerke zu hinterfragen. Die Konzeptkunst erscheint hier nicht als eine bloße Sammlung von Objekten, sondern als ein Raum für Diskussion und Reflexion, um über den Rahmen traditioneller Ästhetik hinauszudenken und Kunst als ein dynamisches, diskursives Feld zu begreifen, in dem es um Ideen geht.

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