STAND UP! – ein Rundgang

Die Ausstellung »STAND UP! FEMINISTISCHE AVANTGARDE. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien« ist der feministischen Kunst der 1970er-Jahre gewidmet. Die Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde kritisieren scharf die tradierten Rollenbilder für Frauen und schaffen mit ihrer frischen und unmittelbaren Bildsprache vielschichtige und neue Bilder der emanzipierten Frau. 

In den 1970er-Jahren demonstrieren Frauen in Europa und Nordamerika gegen Diskriminierung, Unterdrückung und tradierte Rollenvorstellungen. Viele Künstlerinnen stellen mit Fotografien, radikalen Performances und Videoinszenierungen die patriarchalen Machtverhältnisse infrage. Für ihre Kunst dienen den Künstlerinnen die als frei und spontan konnotierten Medien Fotografie und Film. 

Avantgardistisch gilt ihre Kunst wegen des kollektiven neuen weiblichen Blicks auf jahrhundertealte Rollenmodelle für Frauen, die (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit diesen und die Suche nach neuen (Vor-)Bildern. Erstmalig setzt sich eine größere Gruppe von Frauen künstlerisch mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit und dem eigenen Platz in der bis dahin patriarchalischen Gesellschaft auseinander. Im Jahr 2025 sind die Themen der damaligen Frauenbewegung erschreckend aktuell und von hoher Relevanz. 

SAMMLUNG VERBUND, Wien

Die Ausstellung »STAND UP! FEMINISTISCHE AVANTGARDE« ist eine Kooperation der Staatsgalerie mit der SAMMLUNG VERBUND, Wien. Die VERBUND AG ist Österreichs führendes Stromunternehmen und der führende Stromerzeuger aus Wasserkraft in Europa. 2004 wird die SAMMLUNG VERBUND gegründet und Gabriele Schor, die Gründungsdirektorin und Kuratorin der Ausstellung, gelingt es eine herausragende Sammlung mit heute über 1.000 vorwiegend Film- und Fotoarbeiten von rund 200 Künstlerinnen (und Künstlern) aufzubauen. 

Der Begriff »Feministische Avantgarde« wird von Gabriele Schor in die Kunstgeschichte eingeführt und etabliert, um die unterschätzte Pionierinnenleistung dieser Künstlerinnen in den 1970er-Jahren zu würdigen. 

Das Private ist politisch

Die 1970er-Jahre sind geprägt von Aufbruchsstimmung und einem Drang nach Veränderung. Frauen kämpfen (endlich) öffentlich für mehr Rechte und Anerkennung, eine zentrale Devise wird »Das Private ist politisch« und meint, dass auch die Lebensbedingungen von Millionen Frauen für die Gesetzgebung entscheidend sein sollten. 

Nach damaligen Konventionen hat sich eine Frau unbezahlt um Haushalt, Kindererziehung und Einhaltung moralischer Prinzipien zu sorgen. Die Künstlerinnen thematisieren diese gesellschaftliche Erwartungshaltung mit Wut und Ironie. Renate Eisenegger bügelt den ohnehin makellosen Korridor eines Hochhauses: Sinnbild für die Unterdrückung und die fehlenden Entfaltungsmöglichkeiten der Frauen, für deren Wünsche und Träume es keinen Ort zu geben scheint.

Ausbruch

Das Leben vieler Mädchen und Frauen ist bis in die 1970er-Jahre vorbestimmt: Ehemann und Kinder sind Lebensziel und -inhalt. Emanzipierte Frauen eint ein Gefühl der Ohnmacht, der Beklemmung, des Eingesperrtseins und der Wunsch nach Ausbruch aus diesem gesellschaftlichen Käfig. 

In den Werken der Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde findet sich oftmals das ästhetisch eindrucksvolle Motiv der Einschnürung oder des Käfigs mit einer daraus resultierenden Befreiung. 

Annegret Soltau umgarnt ihre Gesichter mit engen Fäden. Ihr Schmerz überträgt sich auf die Betrachter und lässt uns die schmerzvolle Erfahrung der patriarchalen Gesellschaftsstrukturen nachempfinden. Maßgeblich für die Künstlerin ist die selbstständige (!) Befreiung, die Annegret Soltau bildstark inszeniert.

Aufbruch

Obwohl es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«, gilt der Grundsatz noch lange nicht für die Lebensrealität der Frauen. Ihnen ist lange der Zugang zu zahlreichen männlichen Berufen erschwert oder gar ganz unmöglich.

Die Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde verkleiden sich, schlüpfen in unterschiedliche Rollen und führen uns so die neugewonnenen Freiheiten vor Augen. Das eigene Ich wird damit zur Projektionsfläche für die Chancen und Wünsche einer Frauengeneration. Ulrike Rosenbach imitiert für »Art is a criminal action« ein ikonisches Werk des Pop-Art Künstlers Andy Warhol, das Elvis Presley, den King of Rock ‘n‘ Roll, als Revolverhelden mit auf uns gerichteter Pistole zeigt. In einem Akt der Selbstermächtigung demonstriert Rosenbach ihre Bereitschaft, dem männlich dominierten Kunstbetrieb mit den gleichen »Waffen« entgegenzutreten.

Keine Künstlerin spielt mit ihrer Identität derart konsequent wie Cindy Sherman. Sie verkleidet sich bis zur Unkenntlichkeit – im Vordergrund ihrer Werke stehen die Themen und nicht das eigene Ich. Die Botschaften sind ebenso vielschichtig wie einfach: Frauen können alles – das dürfte wohl die größte Überraschung für die patriarchale Gesellschaft der 1970er gewesen sein. 

Mein Bauch gehört mir

Die Vorstellung, wie eine nackte Frau aussehen sollte, wird nicht zuletzt von Männermagazinen, nachhaltig bestimmt. Frauen können nicht selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden, so spaltet bis heute der Streit über die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen § 218 die Gesellschaft. In den 1970er-Jahren kämpfen Frauen mit prominenter Unterstützung und mit dem Slogan »Mein Bauch gehört mir« um ihr Recht auf Selbstbestimmung. 

Die Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde fordern mit ihren Werken die Deutungshoheit über den weiblichen Körper ein. Die Frauenbewegung kämpft bewusst auch gegen geltende Schönheitsideale und schafft ein neues Bild von Frauenkörpern. Orshi Drozdik interpretieren traditionelle kunsthistorische Bildformeln neu.

Freiheit

Die sexuelle Revolution der 1960er-Jahre erschüttert die konservative Sexualmoral in ihren Grundfesten: Außerehelicher Sexualverkehr ist kein Grund mehr für eine gesellschaftliche Ächtung, neue Partnerschaftsformen sind möglich und werden öffentlich diskutiert. Frauen können aktiv an dieser Revolte teilnehmen, denn ab 1961 und 1965 ist die Antibabypille in West- und Ost-Deutschland erhältlich. Die Verhütungsmethode ermöglicht es den Frauen erstmals ihre Sexualität freier zu leben. 

Die selbstbestimme Sexualität ist ein wesentlicher Anspruch der Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde. Penny Slinger setzt die weibliche Sexualität als jener des Mannes gleichberechtigt auf humorvolle und ironische Weise ins Bild. In ihrer Fotocollage »ICU, Eye Sea You, I See You« zeigt sie sich fröhlich mit gespreizten Beinen als Braut in einer Hochzeitstorte und positioniert über ihre Vulva ein großes Auge, das die Betrachter aktiv anblickt. Weibliche Sexualität verharrt nicht mehr in Passivität, sondern ist selbstbestimmt. Slinger gelingt es, eine Leichtigkeit und eine Freude zu vermitteln, die den bis heute dauernden Kampf um eine selbstbestimmte Sexualität von Frauen fast vergessen lassen.