Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig – Maltechnik und Restaurierung

Das Forschungs- und Restaurierungsprojekt

Von September 2022 bis Oktober 2024 haben wir sieben Kunstwerke der venezianischen Frührenaissance wissenschaftlich untersucht und restauriert. Für die Auswahl der Werke aus dem Bestand der Staatsgalerie gab es zwei Anlässe: Die Vorbereitung für die Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« und ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Sammlung Barbini-Breganze. Mit verschiedenen kunsttechnologischen Methoden sammelten wir in dieser Zeit wichtige neue Informationen über diese bedeutenden Kunstwerke.

Hier stellen wir einige dieser Forschungsergebnisse vor, die uns spannende Details über die Gemälde, die Künstler, ihre Malweise sowie die damalige Werkstattpraxis verraten. Eine Übersicht aller Beteiligten finden Sie am Ende dieser Seite. Wenn Sie anschließend noch mehr zu den Themen Maltechnik und Restaurierung lesen möchten, empfehlen wir Ihnen den Ausstellungskatalog, der ausführliche Berichte zu einzelnen Restaurierungsmaßnahmen enthält.

Die Sammlung Barbini-Breganze wurde 1852 von König Wilhelm I. von Württemberg in Venedig erworben. Die ursprünglich 250 Werke bilden bis heute den Grundstock der Abteilung Alte Meister der Staatsgalerie.

1. Der Thomas-Altar von Vittore Carpaccio

19 Monate lang haben die Diplom-Restauratorinnen Antoaneta Ferres und Hanna Gräbeldinger die monumentale Altartafel »Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse (Pala Dragan)« von Vittore Carpaccio in unzähligen Arbeitsschritten restauriert. Diesen Prozess konnten die Besucherinnen und Besucher in unserem Schauatelier Wüstenrot Stiftung von März 2023 bis Oktober 2024 live verfolgen.

In der Abbildung sehen Sie die Altartafel nach der Restaurierung in einer strahlenden Farbigkeit, die einen Eindruck der ursprünglichen Farbwirkung erahnen lässt. Vor der Restaurierung war diese durch gealterte Überzüge stark verfälscht. Ungefähr so sah das Gemälde wohl auch aus, als Carpaccio im Jahr 1507 nach der Fertigstellung seine Pinsel beiseitelegte.

Bei jedem Kunstwerk stellen wir hier eine Frage in den Mittelpunkt, auf die Kunsttechnologie und Restaurierung Antworten geben können.

Die Frage zu Carpaccios Thomas-Altar ist:

Was erzählen die einzelnen Schichten des Kunstwerks bis heute über die Arbeitsweise der Künstler?

Wenn Sie mehr über den Bildinhalt des Gemäldes erfahren möchten, schauen Sie doch mal in unserem Mediaguide vorbei. Dort können Sie zur Betrachtung des Werks auch passende venezianische Musik aus der Zeit um 1500 hören.

Zur Station im Mediaguide

Außerdem berichten die Kunsthistorikerin Dr. Christine Follmann sowie die beiden Diplom-Restauratorinnen Hanna Gräbeldinger und Antoaneta Ferres in einem Kurzfilm, den Sie hier sehen können, von ihrer Arbeit und neuen Erkenntnissen zu Carpaccios Werken. Der Film entstand während der Restaurierung der Gemälde  »Pala Dragan« und »Martyrium des heiligen Stephanus« im Schauatelier Wüstenrot Stiftung. Die Restaurierung ist mittlerweile abgeschlossen – nun können Sie die frisch restaurierten Meisterwerke in unserer Ausstellung bewundern.

Die drei kleinen Abbildungen zeigen den Vorzustand sowie den Fortschritt der Restaurierungsmaßnahmen an Carpaccios Thomas-Altar, der »Pala Dragan«.

In mühevoller Kleinarbeit haben unsere Restauratorinnen die vergilbten, degradierten Überzüge und nachgedunkelten Altretuschen entfernt und im Anschluss alle Fehlstellen gekittet und retuschiert, d.h. farblich wieder angepasst.

Ein neuer Firnis schützt das Gemälde nicht nur, sondern verleiht der Darstellung zudem Tiefe und den Farben Brillanz. Auch die exquisite Qualität der Malerei ist nun wieder vollumfänglich wahrnehmbar.

Mittels Infrarotreflektografie (IRR) können die Restauratorinnen die auf der weißen Imprimitur angelegte Unterzeichnung sichtbar machen.

Typisch für Carpaccio ist eine lineare, wenig detaillierte Unterzeichnung mit sicherer Strichführung, die sich in vielen seiner Werke findet. Carpaccio zeichnete dabei vermutlich mit Holzkohle oder Graphit.

Bei manchen Gemälden befindet sich über dem weißen Malgrund ein pigmentierter Öl- oder Leimanstrich. Dieser hat die Funktion, die Saugfähigkeit des Malgrunds zu reduzieren und bei der Farbgestaltung mitzuwirken. Handelt es sich wie bei der »Pala Dragan« um eine Bleiweiß-Öl-Imprimitur, wird das einfallende Licht stärker reflektiert und lässt die Farben strahlender wirken.

Im Infrarotreflektogramm ist auch zu erkennen, dass Carpaccio während des Malprozesses in der oberen Bildhälfte eine grundlegende Änderung der Komposition vornahm: Ursprünglich hatte er vorgesehen, die Szene in einem Innenraum darzustellen.

Das Pult des Thomas von Aquin sollte zwischen zwei Rundbogenfenstern mit Butzenscheiben stehen. Später überarbeitete der Künstler diese bereits farbig ausgeführten Bereiche vollständig und erweiterte die Darstellung des Himmels durch Wolken sowie Engel, die ein rotes Stoffband in Händen halten.

Diese Pentimenti sind heute zum Teil mit bloßem Auge zu erkennen, wobei es unklar bleibt, ob Carpaccio die Wolkendecke ganz bewusst durch einzelne Architekturelemente unterbrochen hat oder ob diese nur aufgrund von Alterungsprozessen, die bewirkt haben, dass die Himmelsfarbe transparenter geworden ist, sichtbar geworden sind.

Die Frage, wann und warum diese umfangreiche Kompositionsänderung vorgenommen wurde, ist heute nicht eindeutig zu beantworten und lässt viel Raum für Interpretationen. Lesen Sie hierzu mehr in unserem Ausstellungskatalog. 

Mehrzahl des italienischen Wortes pentimento (Reue). Als „Reuestriche“ bezeichnet man Veränderungen, die ein Künstler während des Schaffensprozesses an einem Gemälde, einer Grafik oder Wandmalereien vorgenommen hat.

Durch die intensive makro- und mikroskopische Betrachtung der Tafel konnten die Restauratorinnen spannende Details zur Arbeitsweise des Künstlers bzw. zur Verwendung verschiedener Hilfsmittel und Werkzeuge beobachten.

So belegen Einstichlöcher und Ritzungen, deren Linien vollkommene Kreise beschreiben, dass für die Darstellung der Heiligenscheine ein Zirkel verwendet wurde.

In der oberen Bildhälfte ließ sich das Arbeiten mit weiteren Hilfsmitteln nachweisen: Hier haben vermutlich Werkstattmitarbeiter Carpaccios die Köpfe der Putten und die Engel minutiös mithilfe von Lochpausen vorbereitet.

Nicht nur die Konturen der meisten Gesichter, sondern auch einzelne Haarsträhnen und Engelsflügel sind mit einem schwarzen, flüssigen Zeichenmedium exakt angelegt und als gepunktete Linien sichtbar. Analysen mittels Raman-Spektroskopie haben gezeigt, dass es sich um ein kohlenstoffbasiertes Schwarzpigment handelt, welches flüssig aufgestrichen und nicht, wie sonst üblich bei Lochpausen, trocken aufgerieben wurde.

Eine Lochpause dient zur mehrfachen Übertragung eines Motivs. Es handelt sich dabei um einen Karton mit einer Zeichnung (z. B. eines Puttenkopfes oder einer Heiligenfigur), deren Konturen mit einer Nadel durchstochen wurden. Auf das grundierte Gemälde gelegt wurde das Motiv übertragen, indem Kohlestaub oder in diesem Fall flüssige schwarze Farbe durch die Löcher gerieben wurden. Das Motiv erscheint daraufhin als gepunktete Linien.

Im Zusammenspiel mit weiteren Analyseverfahren lässt sich durch die Raman-Spektroskopie herausfinden, welche Pigmente in den Kunstwerken verwendet wurden. In diesem Fall werden anorganische und organische Verbindungen aufgrund ihres mittels Laserstrahlung erzeugten Absorptionsspektrums detektiert. Mithilfe eines eingebauten Mikroskops können so einzelne Pigmentkörner bestimmt und analysiert werden.

2. Vittore Carpaccio »Martyrium des heiligen Stephanus«

Carpaccios »Martyrium des heiligen Stephanus« wurde von Januar 2023 bis Mai 2024 in der Restaurierungswerkstatt der Staatsgalerie von Lena Bühl und Annette Kollmann umfassend untersucht und restauriert.

An diesem Werk kann man gut zeigen, wie ein Kunstwerk altert. Außerdem lässt sich nachvollziehen, mit welchen Mitteln Carpaccio die gewünschte Bildwirkung erzielte.

Daher ist die Frage hier:

Wie gelingt es Carpaccio, eine so realistische Abendstimmung darzustellen?

Mehr über die dargestellte Szene und Carpaccios gesamten Stephanus-Zyklus erfahren Sie in unserem Mediaguide.

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Die Restaurierungsmaßnahmen an der Malschicht umfassten, neben partiellen Malschichtfestigungen, zunächst die Entfernung der gealterten Überzüge und Retuschen.

Anlass für die Restaurierung war, dass das Erscheinungsbild des Gemäldes stark beeinträchtigt war. Der Firnis war verbräunt und hatte durch Alterung seine Schutzfunktion verloren. Alte Retuschen hatten sich im Laufe der Zeit farblich verändert. Zusätzlich stellte sich heraus, dass sich an manchen Stellen des Gemäldes die Malschicht gelockert hatte.

Farbloser, transparenter Überzug aus gelösten Naturharzen oder synthetischen Harzen, der auf das fertiggestellte Gemälde aufgetragen wird. Er dient als Schutzschicht und verleiht vor allem dunklen Farben Farbtiefe und Brillanz. Alterungsprozesse führen häufig zu starken Vergilbungen der Firnisschicht.

Zunächst wurde das Bildträgergewebe mit einem weißen Gipsgrund, wie zu dieser Zeit und in dieser Region üblich, grundiert. Darauf liegt eine durchgehende farbige Schicht in einem deckenden rötlichen Ockerton. In Querschliffen von Mikroproben der Malschicht ist diese als ockerfarbige Schicht erkennbar, in der größere Partikel von Bleiweiß und Ocker in verschiedenen Farbtönen sowie einzelne Pigmentkörner von Mennige, Bleizinngelb I und Zinnober liegen. 

Diese kann als Teil der Grundierung interpretiert werden. Vergleichbare rötliche Unterlegungen konnten auch an weiteren Gemälden von Carpaccio nachgewiesen werden, die ebenfalls zu seinem Spätwerk gehören. Hierbei handelt es sich wohl um die frühesten Beispiele für farbige Malereiuntergründe in der venezianischen Malerei überhaupt. Deckend rote Grundierungsschichten setzten sich vor allem in der venezianischen Malerei erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts durch.

Der Einsatz der rötlichen Grundierung bietet Carpaccio eine ideale Basis für die Gestaltung der abendlichen Stimmung des Himmels. Die dunklere Tonalität des Gemäldes hat er bewusst mit diesem malerischen Mittel erzielt.

Eine winzige aus der Malschicht entnommene Probe wird in ein Kunstharz eingebettet und dann vertikal angeschliffen, sodass der Schichtenaufbau einer Malschicht unter dem Mikroskop in bis zu 200-facher Vergrößerung ablesbar wird. Mithilfe der Querschliffe können auch Pigmente in einzelnen Farbschichten analysiert werden.

An sehr vielen Werken Carpaccios sind detaillierte Unterzeichnungen in schwarzer Farbe zu beobachten. Auch das »Martyrium des heiligen Stephanus« besitzt eine detailreiche lineare Unterzeichnung.

Eine kunsttechnologische Besonderheit für diese Zeit ist jedoch, dass sie mit weißem anstatt schwarzem Farbmaterial ausgeführt ist. Diese weiße Unterzeichnung konnte bisher an keinem weiteren Werk Carpaccios beobachtet werden und auch an Werken anderer zeitgenössischer Maler ist diese Technik nur selten nachgewiesen worden. Sie ist mit ölhaltiger Bleiweißfarbe ausgeführt und konnte in einer Röntgenaufnahme sichtbar gemacht werden.

Mittels Röntgenaufnahmen können verborgene Strukturen der Bildträger und Malschichten sichtbar gemacht werden; einige Pigmente absorbieren die Röntgenstrahlen stark (insbesondere bleihaltige Pigmente), und bilden sich daher auf dem Film weiß ab. Auf diese Weise können z. B. tieferliegende Pentimenti oder Bleiweiß-Unterzeichnungen sichtbar gemacht werden. Auch Gewebestrukturen, Holzdübel und Schadstellen in Bildträgern sind auf Röntgenbildern erkennbar.

Carpaccio hielt sich später bei der Ausführung der Malerei nicht genau an seine Unterzeichnung.

So war die zentrale Rückenfigur zunächst mit einem knielangen Gewand, geschnürten Stiefeln und einem gerafften Ärmel vorgezeichnet und ausgeführt. Später erfolgte die gestalterische Veränderung zu einem bodenlangen Gewand mit einem lang herabhängenden Ärmelteil.

Auch ist zu beobachten, dass die meisten Ärmel der Steinewerfer als aggressiver wirkende, hochgekrempelte Ärmel vorgezeichnet waren, aber als lange Ärmel ausgeführt wurden.

3. Giovanni Bellini und seine Werkstatt

Wer ein Gemälde tatsächlich gemalt hat, ist häufig gar nicht so leicht herauszufinden. Besonders schwierig ist es zu unterscheiden, ob ein Meister oder seine Schüler, die ihn so gut wie möglich nachahmen wollten, bestimmte Partien ausgeführt haben.

An zwei Werken von Giovanni Bellini und seiner Werkstatt möchten wir zeigen, mit welchen Methoden wir in unserer Restaurierungswerkstatt versuchen, Indizien für die Beantwortung solcher Fragen zu finden.

Wer malte diese Andachtsbilder – nur Werkstattmitarbeiter von Giovanni Bellini oder war auch der Meister selbst beteiligt?

Bei dieser »Beweinung Christi« ist die malerische Qualität der dargestellten Personen sehr unterschiedlich. Manche Forschenden sind daher der Ansicht, dass das Gemälde nicht von Giovanni Bellini ausgeführt wurde, wie es die Signatur »ioannes bellinvs« auf der Brüstung suggeriert. Stattdessen könnte es eine reine Werkstattarbeit sein.

Mehr über das Kunstwerk können Sie auch in unserer Sammlung digital lesen.

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Ein Blick unter die Malschichten des Gemäldes liefert Hinweise, um die Frage der Autorschaft beantworten zu können. Daher haben die Restauratorinnen der Staatsgalerie ein Infrarotreflektogramm angefertigt. Dadurch konnte die sehr qualitätvolle und fein ausgeführte Unterzeichnung sichtbar gemacht werden.

Die langwelligen Infrarotstrahlen durchdringen die Malschicht und werden von schwarzen Pigmenten absorbiert und von weißer Grundierung reflektiert, sodass dadurch z.B. Unterzeichnungen mit Kohle oder Tusche sichtbargemacht werden können. Auch Pentimenti und Schadstellen werden häufig sichtbar.

Da auch Farbpigmente unterschiedlich Infrarotstrahlen absorbieren wird die Malschicht im Infrarotreflektogramm nicht komplett eliminiert, sondern ist als Schwarz-Weiß-Bild sichtbar. Daher ist viel Übung und Erfahrung nötig, um Infrarotreflektogramme korrekt auswerten zu können.

Das Gemälde hat in der Vergangenheit sehr stark gelitten: schlechte Aufbewahrungsbedingungen führten zu großen Schäden und häufigen Überarbeitungen. Besonders die meist gut erhaltenen Kopfpartien der Figuren zeigen eine äußert fein schraffierte Unterzeichnung, die vor allem im Fall des Johannes gut erkennbar ist.

Nur wenige Künstler haben ihre Gemälde so aufwendig vorbereitet wie Giovanni Bellini. Insbesondere in den Jahren 1470 bis etwa 1500 fertigte er sehr detailliert ausgearbeitete Unterzeichnungen an.

Im Bereich des Halses von Johannes sind die sorgfältigen, parallel gesetzten Linien gut zu erkennen. Sie dienen der Modellierung des Körpers und verleihen ihm Plastizität.

Aus diesem Befund lässt sich schließen, dass das Gemälde nicht nur von den Mitarbeitern Giovanni Bellinis gemalt wurde, sondern dass auch der Meister selbst an seiner Ausführung beteiligt war.

In unserem zweiten Fall, der »Maria mit Kind«, stellt der schlechte Erhaltungszustand des Gemäldes ein großes Problem bei der Beurteilung dar:

An den Beinen des Kindes und im Gesicht der Maria ist die Farbe der Haut an manchen Stellen bis auf die Grundierung reduziert. Im Zuge von Restaurierungsmaßnahmen, die in den 1980er Jahren in Italien erfolgten, wurden diese Fehlstellen kaschiert.

Wenn Sie mehr über den Bildinhalt des Gemäldes erfahren möchten, hören Sie die zugehörige Station unserem Mediaguide an.

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Durch Infrarotreflektografie ist jedoch zu erkennen, dass unter den noch originalen Stellen der Figurengruppe eine sehr präzise und detaillierte Unterzeichnung mit feinen, parallel geführten Linien vorliegt. Wie bei der »Beweinung Christi« beschrieben, sind derart hochqualitative Unterzeichnungen typisch für Gemälde, die Giovanni Bellini zwischen 1470 und Anfang des 16. Jahrhunderts schuf.

Dieser Befund sowie die in großen Teilen sichere Ausführung des Gemäldes legen nahe, das Andachtsbild als Werk Bellinis und seiner Werkstatt anzusehen. Die Oberfläche des Bildes war an einigen Stellen, wie beispielsweise an den Beinchen des Christuskindes, sehr stark berieben.

Das Infrarotreflektogramm offenbarte das Ausmaß der Zerstörung. An den Beinen des Christuskindes lässt sich mit bloßem Auge eine Unterzeichnung erkennen. Doch im Infrarotreflektogramm ist diese überraschenderweise nicht zu sehen. Wie ist dies zu erklären?

Eine Antwort gibt die Restaurierungsakte des Bildes, die auch die Maßnahmen aus den 1980er Jahren dokumentiert. Der damalige Restaurator war offensichtlich sehr gut mit der Arbeitsweise Giovanni Bellinis vertraut, weshalb er die Beine nicht nur mit Farbe modellierte, sondern auch mit parallelen Schraffuren die Unterzeichnung imitierte.

4. Vincenzo Catena »Maria mit Kind und einer Heiligen«

Bestimmte Motive – wie das der Maria mit Kind – waren so beliebt, dass es sich für die Werkstätten lohnte, effiziente Verfahren für die Vervielfältigung der Figuren zu entwickeln.

An dieser Stelle gehen wir daher der Frage nach:

Wie haben die Künstler beliebte Motive kopiert und weiterverwendet?

Bei diesem Werk, das heute Vincenzo Catena zugeschrieben wird, lässt sich das besonders gut zeigen.

Weitere Informationen über das Kunstwerk finden Sie in unserer Sammlung digital.

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An diesem Gemälde wurde im Infrarotreflektogramm eine besonders interessante Vorgehensweise des Künstlers bei der Anlage des Gemäldes sichtbar. Bei der Unterzeichnung verwendete er mehrere Techniken: Zunächst legte er eine lineare Unterzeichnung von Maria und dem Kind an, dann schattierte und schraffierte er virtuos mit lockeren Pinselstrichen.

Die linke weibliche Heilige dagegen wurde mittels einer Lochpause auf die Grundierung übertragen, erkennbar an fein gepunkteten Linien. Das gesamte Vorgehen unterscheidet sich damit sehr von den detaillierten Unterzeichnungen Giovanni Bellinis.

Diese Pauspunkte (rot) belegen, dass der Künstler die Figur nicht frei auf der Grundierung vorzeichnete, sondern als Hilfsmittel die Lochpause verwendete.

Die gelochte Zeichnung wurde auf die grundierte Leinwand gelegt und Kohlestaub darüber verteilt. Diese Transfer-Methode nennt man »spolvero-Methode« (spolvero bedeutet auf Italienisch Staub). Die einzelnen Punkte wurden dann mit einem feinen Pinsel zu Linien verbunden.

Das Stuttgarter Gemälde lässt sich gut mit der sogenannten »Sacra Conversazione Pourtalès« vergleichenDas Andachtsbild wird heute in New York aufbewahrt.

Es zeigt Maria mit ihrem Kind, verschiedenen Heiligen und einem knienden Stifter, der von Christus gesegnet wird. Das Gemälde wurde zwischen 1495 und 1500 von Giovanni Bellini und einigen seiner Werkstattmitarbeiter geschaffen.

Der Künstler des Stuttgarter Gemäldes kopierte ziemlich exakt die Gruppe der Maria mit Kind und eine der beiden Heiligen.

Abweichend vom Vorbild legt Maria ihre rechte Hand im Stuttgarter Gemälde nun aber auf ein Buch und hält sie nicht mehr schützend über den Stifter, also den Auftraggeber des Andachtsbildes.

Das Buch verweist einerseits auf Maria als Sitz der Weisheit und andererseits auf den Bibelvers „Und das Wort ist Fleisch geworden“.

Die Gruppe der Maria mit Kind war Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts ein sehr beliebtes Motiv. Auf mindestens 20 weiteren Gemälden lässt es sich finden.

Ebenso wie Vincenzo Catena verzichtete auch Fra Marco Pensaben auf die Darstellung des Auftraggebers im Bild. So scheint es auch hier so, als wolle Christus die Betrachterin oder den Betrachter des Andachtsbildes segnen. Die Hand der Gottesmutter ruht ebenfalls auf einem Buch.

In der Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig« sind – abgesehen von den beiden Stuttgarter Gemälden – noch zwei weitere Werke zu sehen, die die das Motiv der Maria mit Kind zeigen: eine Zeichnung aus den Uffizien in Florenz und ein Andachtsbild von Giovanni Bellinis Schüler Lorenzo Lotto.

Mehr über dieses Werk von Lorenzo Lotto erfahren Sie in unserem Mediaguide.

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5. Giovanni Mansueti »Maria mit Kind«

Im letzten Kapitel möchten wir am Beispiel von Giovanni Mansuetis »Maria mit Kind« zeigen, wie ein Gemälde sich durch die Restaurierung seinem Originalzustand annähert.

Die Frage ist dabei:

Wie sah das Gemälde ursprünglich aus?

Weitere Informationen über das Kunstwerk finden Sie in unserer Sammlung digital.

Zur Sammlung digital

Vor der Restaurierung lag das Werk des Malers Giovanni di Niccolò Mansueti unter einer stark verschmutzten, vergilbten Firnisschicht. Besonders in den Hauttönen trübte die dunkle Patina die subtile Farbigkeit und Details der Hautpartien.

Zusätzlich beeinträchtigten alte Restaurierungen die Qualität des Werks stark: Frühere Übermalungen, sogenannte Retuschen, hatten sich mit der Zeit farblich verändert und sind nachgedunkelt.

Durch eine Röntgenaufnahme wurden noch andere Spuren der langen Geschichte des Kunstwerks sichtbar: Holzschäden in Form zahlreicher Fraßgänge eines früheren Holzwurmbefalls. Außerdem sieht man auf der Aufnahme deutlich die sogenannte Parkettierung auf der Rückseite des Gemäldes mit der die Tafel stabilisiert wird.

Katja van Wetten, die Leiterin der Abteilung Restaurierung und Sammlungsverwaltung an der Staatsgalerie Stuttgart, nahm sich dieses Gemälde persönlich vor.

Zu Beginn reinigte sie die Malschichtoberfläche des Gemäldes behutsam, um verbleibende Rückstände wie Staub und Schmutz zu entfernen. Anschließend wurde der stark vergilbte Firnis abgenommen. Neben dem Firnis entfernte Katja van Wetten auch alte Retuschen und teils flächige Übermalungen, deren Farbigkeit sich stark vom Original unterschied.

Anschließend trug sie in dünnen Schichten einen neuen Schutzüberzug (Naturharzfirnis) auf, um die Malschicht zu schützen und ihr wieder Tiefe zu verleihen. Darauf erfolgte eine feine Retusche der Fehlstellen.

Gezielte Nachbearbeitung der Farbschicht bei der Restaurierung eines Kunstwerks, um Farbverluste oder Beschädigungen optisch auszugleichen und das ursprüngliche Erscheinungsbild wiederherzustellen. Dabei muss die Retusche stets wieder rückgängig zu machen (reversibel) sein und sich bei genauerem Hinsehen leicht von der originalen Malerei unterscheiden lassen.

Besonders das goldene Untergewand, das kräftige Rot und das lasierende Blau waren stark beschädigt, weshalb etwas großflächigere Retuschen nötig waren. Katja van Wetten benutzte dafür Aquarellfarben und Harzfarben, die sich besonders gut für Retuschen eignen, weil sie im Verlauf der Jahre nicht so schnell nachdunkeln wie beispielsweise Ölfarbe und reversibel sind. Eine abschließend aufgetragene Firnisschicht dient zum Schutz der Malschicht.

Nach der Restaurierung kommt das Gemälde seinem ursprünglichen Erscheinungsbild vor 500 Jahren wieder näher. Gut erkennbar sind nun die feinen qualitätvollen Modellierungen der Hautpartien sowie die Gestaltung der Marienkleidung und des Vorhangs mit kräftigen Rot- und Blautönen.

Dank

Die Restaurierung der »Pala Dragan« erfolgte dank der großzügigen Finanzierung der Wüstenrot Stiftung im Schauatelier Wüstenrot Stiftung und wurde von Antoaneta Ferres und Hanna Gräbeldinger durchgeführt. Im Rahmen des Forschungsprojektes Sammlung Barbini-Breganz haben Lena Bühl und Annette Kollmann das »Martyrium des heiligen Stephanus« restauriert und zudem die Untersuchungen an allen übrigen hier vorgestellten Werken durchgeführt. Katja van Wetten hat Giovanni Mansuetis »Maria mit Kind« restauriert, Laura Hack Giovanni Bellinis »Maria mit Kind«.

Die Röntgenuntersuchungen wurden an der Staatsgalerie Stuttgart von Katja van Wetten, Carolin Heinemann und Anne Künzig durchgeführt. Sämtliche Elementanalysen wurden mittels portabler Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA), Rasterelektronenmikroskopie, gekoppelt mit energiedispersiver Röntgenfluoreszenz (REM-EDX) und Raman-Spektroskopie von Stefanie Dietz und Christoph Krekel, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, durchgeführt und ausgewertet. Die Holzanalysen an der Pala Dragan wurden von Elisabeth Krebs, Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, die Bindemittelanalysen mittels Gaschromatographie, gekoppelt mit Fourier-Transform-Infrarotspektrometrie (GC-FTIR), von Ester Simoes B Ferreira, Technische Hochschule Köln, geleistet. Die Faseranalysen an dem Gemälde »Das Martyrium des heiligen Stephanus« wurden von Susanne Wufka, Staatsgalerie Stuttgart, durchgeführt.

Die Erstellung dieser Seite erfolgte durch:

Konzeption:

Christine Follmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Alte Meister / Forschungsprojekt Sammlung Barbini-Breganze und Co-Kuratorin der Ausstellung »Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig«

Katharina Rohne, Digitale Vermittlung

Texte:

Lena Bühl, Antoaneta Ferres, Christine Follmann, Hanna Gräbeldinger, Annette Kollmann, Esther Löffelbein, Katharina Rohne, Katja van Wetten