07.04. – 19.08.2001

Rodin bis Baselitz

Der Torso in der Skulptur der Moderne

Bei der Frage nach Bild und Begriff des Menschen im Schaffen zeitgenössischer Bildhauer gerät der Torso als ein so konstant wie erfindungsreich thematisierter Angelpunkt zwischen naturabbildender und ungegenständlicher Plastik ins Zentrum des Blickfeldes.

Eine durch das Schaffen Rodins eingeleitete, veränderte Realitätsauffassung im Bereich der Plastik ließ bereits am Ausgang des 19. Jahrhunderts im Torso die Möglichkeit erkennen, aus der anthropomorphen Teilfigur autonome plastische Formsynthesen zu gewinnen. Vor dem Hintergrund eines in den letzten Jahren wiedererstarkenden Interesses am Körper, am leiblichen Ausdrucks- und Erfahrungspotenzial des Menschen lohnt es sich, das sehr facettenreiche, heterogene Spektrum des Phänomens »Torso« in der modernen Skulptur in den Blick zu nehmen. Bildhauer unterschiedlicher Generationszugehörigkeit wie künstlerischer Zielsetzung führen bis in die unmittelbare Gegenwart hinein das Motiv des Körperzentrums zu überaus vielfältigen und ambivalenten Deutungen.

Am Ausgangspunkt der Skulpturenschau steht die berühmte Stuttgarter »Götterbotin« Auguste Rodins, die als einer der ersten absichtsvoll geschaffenen Torsi der Kunstgeschichte anzusehen ist. Die anthropomorphe Teilfigur gehört seit Beginn des 20. Jahrhunderts zum Motivschatz fast aller großen Meister der Klassischen Moderne, so bei Maillol, Lehmbruck, Matisse, Brancusi oder Giacometti.

Die radikalsten und wegweisenden Positionen der Torso-Konzeption beziehen nach 1945 zunächst Hans Arp, Henry Moore und Fritz Wotruba. Parallel dazu wird das Körperfragment zum zentralen Formmodul vieler früher Arbeiten von Joseph Beuys. Neben Werken, die vor allem in den 1960er-Jahren häufig um das Thema Gewalt und Zerstörung kreisen, entstehen bis in die Gegenwart hinein surreale Verfremdungen und fetischhafte Objekte unter der Bezeichnung »Torso«. Zu den derzeit besonders interessanten Formulierungen des Körperzentrums zählen die neo-archaischen, monumentalen Holz- und Bronzefiguren von Markus Lüpertz, Per Kirkeby und Georg Baselitz.

Prominente Schlüsselwerke zum Thema befinden sich im Besitz der Staatsgalerie, die in der Ausstellung durch Leihgaben aus Europa und den USA ergänzt werden. Präsentiert werden etwa 60 Exponate, die den vielschichtigen Horizont und die Bedeutungsfülle des Themas vom Einsetzen der Moderne bis heute beispielhaft beleuchten. Dabei zeigt sich, dass die eigenen Gesetzmäßigkeiten, die die Künstler im Umgang mit dem Thema Torso im Zuge der heraufkommenden Moderne entwickelten, entscheidend beteiligt sind an der Etablierung eines erweiterten Darstellungsbegriffs in der Kunst des 20. Jahrhunderts.

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