Mit rund 150 Gemälden, Skulpturen und Papierarbeiten, entliehen aus 40 internationalen Museen und Privatsammlungen, wird dem Besucher vor Augen geführt, wie das Thema der Badenden für Picasso immer dann an Bedeutung gewann, wenn er an Knotenpunkten künstlerischer Umorientierung anlangte. Über die Erkundung der bewegten Aktfigur suchte er neue formale und inhaltliche Lösungen. So wird abermals deutlich, dass dieser innovative Künstler der Anregung durch die Gegenstandswirklichkeit und der eigenen Lebenserfahrung wesentlich bedurfte. Dabei sah er es bei seiner Auseinandersetzung mit dem Badenden-Thema nicht als seine Aufgabe an, nachahmend »Bewegung zu malen«, sondern sie vielmehr zeichenhaft und damit allgemeingültig im Bild »anzuhalten«.
Im Zentrum der Ausstellung steht die 1956 geschaffene hölzerne Skulpturengruppe der »Badenden« aus der Sammlung der Staatsgalerie und die in ihrem Umfeld entstandenen Gemälde und Zeichnungen, die in dieser Konzentration erstmalig zusammengeführt werden. Davon ausgehend, spannt sich der Bogen von den Lehrjahren und der »Blauen Periode« bis hin zu den Variationen auf Edouard Manets »Frühstück im Freien« zu Beginn der 1960er Jahre. Mit Arbeiten von Cézanne, Renoir, Braque oder Matisse ist nicht nur zu verfolgen, mit welchen Kollegen Picasso in künstlerischen Dialog trat, sondern darüber hinaus zu entdecken, wie grundlegend das Thema der Badenden den Aufbruch der Moderne begleitet hat.
Angeregt durch die Cézanne-Retrospektive im Herbstsalon von 1907, die auch die großen »Badenden«-Gemälde des im Vorjahr gestorbenen Postimpressionisten zeigte, verfolgte Picasso - wie u.a. auch André Derain, von dem er das ausgestellte »Badenden«-Bild erwarb - den Plan einer ambitionierten Mehrfigurenkomposition mit der Thematik des Badens als einigendem Handlungsmoment. Dieses Projekt wurde nie realisiert. In den Vorarbeiten werden die schon in den »Demoiselles d’Avignon« forcierten Neuerungen, wie die Aufhebung der Zentralperspektive zugunsten einer neuen Flächigkeit oder die Annäherung der Körperdarstellung an primitivistische Holzskulpturen, zu einer immer stärker verzahnten Bildstruktur geführt. Das Moment der Zeitlichkeit artikuliert sich in den im Wald angesiedelten (und nicht vor dem Motiv studierten) Badenden-Variationen von 1907/08 im Durchspielen roh gegebener akademischer Posen und Ansichten, die in den Kompositionen mit fünf Figuren zusammengeführt werden. In der ambivalenten, zwischen Sitzen und Laufen »angehaltenen« Bewegung der im Herbst 1908 gemalten »Dryade« wird die Zeitlichkeit zu einem Simultanereignis. Die eindrucksvolle Komposition scheint in engem Dialog mit Georges Braques größtem erhaltenen Figurenbild, dem »Großen Akt« aus dem gleichen Jahr, entstanden zu sein, der eine vergleichbare Veränderung der Proportionen aufweist. Solch dynamische Körperperspektive werden wir bei Picasso erst wieder Anfang der 1920er Jahre bei Strandszenen beobachten.
Im »analytischen Kubismus« wurde der Gegenstand, von dem die Abstraktion ausging, irgendwann unwesentlich, und so verlor mit anderen Sujets auch das Badenden-Thema an Bedeutung. Diesen Weg ging Picasso ab 1912 nicht weiter. Der nun folgende »synthetische Kubismus« arbeitete mit Fundstücken aus der Wirklichkeit und synthetisierte Formen außerhalb des Naturvorbildes.
Schon 1914 in der Zeichnung, ab 1918 auch in Gemälden konterkarierte der Künstler den Kubismus parallel durch klassizistische, an Ingres’ Figurenstil und Renoirs späte Aktmalerei sowie an seinen eigenen vorkubistischen Stil anknüpfende Darstellungsmodi. Diese Aneignung traditioneller Repräsentationsformen verlangte erneut nach einer Beschäftigung mit dem menschlichen Körper. Das Sujet der »Badenden«, vor Ort sinnlich erkundet und dann schrittweise durch mythische und antike Bezüge verallgemeinert, bot sich hierfür auch aufgrund seiner entgrenzenden Lokalisierung besonders an. 1918 fuhr Picasso erstmals seit Ausbruch des Krieges – und von da an regelmäßig - wieder ans Meer und malte in Biarritz das bezaubernde Bildchen von drei merkwürdig gelängten und mehransichtigen »Badenden«.
Bis 1925 favorisiert er einen mal dynamisch übersteigerten, mal statuarisch-beruhigten Klassizismus, der oft mit monströs überdehnten Körperpartien arbeitet. Die subjektive Wahrnehmung einer die Raumschichten durchstoßenden Körperbewegung wird in der Gouache der »Laufenden Frauen am Strand« besonders greifbar, während die »Zwei sitzenden Badenden« aus Düsseldorf oder die »Panflöte« eher melancholische Nachdenklichkeit vermitteln.
Mitte der 1920er Jahre, stimuliert auch durch das Gedankengut der befreundeten Surrealisten, radikalisierte sich Picassos Bildsprache weiter. Während die spätkubistischen und klassizistischen Motive abnahmen, fanden die formalen Errungenschaften beider Stile Eingang in eine organische, oftmals äußerst expressive Gestaltungsweise voller Deformationen und gewaltsamer Neuverteilungen von Gesichts- und Körperpartien.
Ab 1928 setzt Picasso erstmals seit zwanzig Jahren wieder vollplastische Konzepte um und schafft ein springendes »Kind mit Ball« und vor allem voluminöse, an steinzeitliche Fruchtbarkeitsgöttinnen erinnernde Badende in agiler Aktion. Auch die von großer erotischer Intensität geprägte Beziehung zu der 1927 getroffenen jungen Marie-Thérèse spiegelt sich in diesen Werken und mehr noch in den teils großformatigen Gemälden dieser Zeit wider. So ist sexuelle Passion und »konvulsivische« Durchdringung unverkennbar das Grundthema von »Figuren am Strand«, wobei er hier wie in anderen der hier gezeigten Gemälde gleichzeitig seiner Vision von monumentalen Freiplastiken Ausdruck verleiht.
Auch in den Bildern von badenden oder ballspielenden Frauen sowie den dramatischen Rettungsszenen, deren Protagonistinnen meist die an ihrem geradlinigen Profil erkennbare Marie-Thérèse sind, finden die erotischen Turbulenzen dieser Jahre und die Spannungen mit der Ehefrau Olga ihren Niederschlag. Offenkundig verband Picasso zeichenhaft die vorzügliche Schwimmerin Marie-Thérèse mit dem Element Wasser, denn: »Ich bemühe mich immer um Ähnlichkeit ... Natur ist nur mit Hilfe von Zeichen in Malerei übersetzbar.« (Picasso).
In den während der Krisenjahre 1936 und 1937 entstandenen Arbeiten ist zu verfolgen, wie die hybriden surrealistischen Formsynthesen zu inhaltsreichen Metaphern werden, die u.a. die Bedrohung der spanischen Küste im Bürgerkrieg symbolisieren können. Auch die aus kantigen Formensegmenten aufgebaute und sich introvertiert der Außenwelt verschließende »Lesende mit Buch« ist in diesem Kontext zu sehen. In Picassos Nachkriegsoeuvre ist generell eine entspanntere Auffassung festzustellen. Sie artikuliert sich über teils vegetabil-zerfließende, teils über ausgesprochen klare Formen im Sinne von Matisse’ Gouaches découpées. Der Dialog zwischen Skulptur und Malerei, zwischen Raum und Fläche wird noch pointierter geführt. Dem sukzessiven Rückzug an die Côte d’Azur entspricht eine Bevorzugung privater und mythisch-dionysischer Motive, erst Mitte der 1950er Jahre wird das Thema der Badenden wieder zur Triebkraft künstlerischer Selbsterforschung.
In Clouzots im Sommer 1955 gedrehten Film »Le mystère Picasso« feiert der 73-jährige Künstler den Strand von La Garoupe am Cap d’Antibes mit zwei farbenfrohen Gemälden, von denen die erste Version mehrfach überarbeitet wurde, während die zweite - stark abstrahierend mit Anklängen an Fernand Légers Taucherbilder - in einem einzigen Wurf entstand. Die sechs idolhaften, frontal ausgerichteten Figuren der »Badenden«-Gruppe von 1956 entstammen dem Arsenal dieser Gemälde und inspirierten ihrerseits wieder faszinierende Umsetzungen in Zeichnung und Malerei. Wie wichtig das Skulpturenensemble für Picasso war, dokumentiert sein Auftauchen im Atelierzusammenhang auf Entwürfen für ein UNESCO-Wandbild.
Die im vorhergehenden Raum gezeigten Paraphrasen zu Manets »Frühstück im Freien« sowie die beiden Strandbilder-Pendants von 1961 führen mit den gleichzeitigen gefalzten und bemalten Skulpturen das Zwiegespräch zwischen den Gattungen weiter. In der Gruppe von 18 betont ungekünstelten Kartonfiguren findet es seinen bukolischen Höhepunkt.