Die Gegenüberstellung von abstrakten Kunstwerken mit Exponaten, die gewöhnlich in Völkerkundemuseen präsentiert werden, lässt Gemeinsamkeiten kreativer Ideen im horizontalen und vertikalen Raster gewebter Stoffe erkennen.
Dergestalt umspannt die Ausstellung Jahrhunderte und verschiedene Regionen der Welt, um zu zeigen, wie das Textile nicht nur unser menschliches Sein bestimmt, sondern vor allem auch ein wichtiger Impulsgeber für die Entwicklung der Moderne war.
In thematisch geordneten Räumen werden die unterschiedlichen Aspekte der textilen Kunst aufgezeigt. Der Vergleich von modernen mit historischen Werken zeigt, dass die Struktur und Bildsprache textiler Kunstformen über die Jahrhunderte hinweg als Inspiration für den Bildaufbau und die Formenwahl diente.
Die kreative Nutzung textiler Formen war zu allen Zeiten wichtiger Bestandteil im Alltag und im Schaffen der Künstler, jedoch meist als Kunsthandwerk von der sogenannten Hochkunst getrennt. Mit der Industrialisierung verschwinden bis ins 19. Jahrhundert allgegenwärtige Techniken und es sind die Künstler des Jugendstils die traditionelles Handwerk retten, indem sie Grenzen zwischen Kunst und Gestaltung aufbrechen und die Hierarchien zwischen Kunst und Kunsthandwerk lösen.
Am Beispiel von Gustav Klimts Bildnis von Marie Henneberg ist der Übergang zwischen der Stofflichkeit des Gewandes und dem Dekor im Hintergrund kaum wahrnehmbar und dieses Werk zeigt beispielhaft, wie textiles Gestalten nun zu einem wichtigen Bestandteil der Malerei wird.
Über den Jugendstil wird der Besucher weitergeführt an das Bauhaus in Weimar und Dessau, wo das textile Gestalten im Austausch mit abstrakter Malerei einen Höhepunkt fand. In dieser Schaffensperiode entstand auch die Grundlage der sogenannten »Fiber Art«, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in den U.S.A. auf dem Vormarsch war.
Durch diese Kunstrichtung wurde das Textile als Medium, Technik, Material oder Idee in die moderne Kunst integriert und von vielen avantgardistischen Stilentwicklungen in den 1950er- und 1970er-Jahren aufgenommen. Beispielhaft für diese Zeitspanne werden in der Ausstellung unter anderem Werke von Anni Albers, Brice Marden aber auch Joseph Beuys vorgestellt.
Trotz dieser offensichtlichen Einbindung textiler Kunstformen in das allgemeine Kunstschaffen wurde Textilkunst weiter vielfach als „Frauenkram“ und weibliche Hausarbeit abgetan. Rosemarie Trockel holte Anfang der 1980er-Jahre mit ihren Strickbildern die Textil-Kunst aus dieser Nische und glättete die Bahnen für einen Paradigmenwechsel im Verständnis der Gesellschaft.
Der Bogen in die zeitgenössische Kunstwelt wird über Exponate von Gerhard Richter, Yayoi Kusama, Birgit Dieker oder Yinka Shonibare geschlagen. Sie arbeiten ganz selbstverständlich mit textilen Materialien in ihrer Gestaltung. Das Medium scheint endgültig dem Kunsthandwerk enthoben und gleichwertig zu
anderen Materialien für Künstler zur Verfügung zu stehen.
Die besondere Motivation, diese für das Kunstmuseum Wolfsburg konzipierte Ausstellung in konzentrierter Form nach Stuttgart zu holen, liegt unter anderem darin, dass in Baden-Württemberg das Textile nach wie vor in Form großer aber auch kleiner Unternehmen ansässig und damit vielleicht noch lebendiger als andernorts in Deutschland ist.
Es ist ein Katalog zur Ausstellung »Kunst & Textil« erschienen.