17.11.2007 – 26.05.2008

Konzentriert!

Kunst von 1350 bis heute

»Konzentriert!« folgt einer chronologischen Linie von 1350 bis in unsere Zeit. Doch wird an dieser Linie nicht eisern festgehalten, so dass sich ein Dialog über mehrere Epochen hinweg entspinnt, der den Besucher mit einer Reihe unerwarteter Begegnungen und Konfrontationen überrascht. Aussagekräftige Brüche mit der weitgehend chronologischen Präsentation der Epochen zeigen mal behutsam, mal markant eingefügte Werke jenseits des historischen Kontexts eines Raums oder der zeitlichen Abfolge der Säle. Sie geben Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit ungewohnten Gegenüberstellungen und verschaffen Einblick in die grundlegenden künstlerischen Fragen nach Form, Inhalt und Bedeutung, die Künstler zu allen Zeiten der Kunstgeschichte beschäftigt haben. Die Neupräsentation gibt dem Besucher Gelegenheit, viele der bekanntesten und beliebtesten Kunstwerke der Sammlung in einem neuen Licht zu sehen.

Schnellnavigation durch die Räume:

Raum 28

Die spätgotische Malerei nördlich der Alpen ist in besonderer Weise durch internationale Wechselbeziehungen geprägt. Die Werke des Meisters der Darmstädter Passion, des Meisters der Sterzinger Altarflügel und des Bartholomäus Zeitblom zeigen, wie sich die altdeutsche Kunst unter niederländischem Einfluss in jeweils unterschiedlicher regionaler Prägung weiterentwickelte.

Hans Memling fand in seiner Wahlheimat Brügge zu einem Stil, in dem sich die Errungenschaften seiner großen niederländischen Vorgänger mit den Idealen der Kölner Kunstlandschaft verband.

Reisen, wie sie zum Beispiel Hans Holbein d. Ä. in seiner Frühzeit unternommen haben muss, sorgten für eine schnelle Verbreitung aktueller Tendenzen: So prägte die u.a. an Werken von Dieric Bouts gereifte Malkultur Holbeins gesamtes Oeuvre.

Auch der zwischen 1515 und 1540 tätige Meister von Messkirch schloss sich dem westlich orientierten Kunstideal an, doch öffnete er sich zugleich neuen, aus Italien importierten und durch die Dürerschule vermittelten Anregungen.

Dies sowie die Auseinandersetzung mit der Landschaftsmalerei der Donauschule verleihen dem »Wildensteiner Altar« sein »modernes« Gepräge und seinen besonderen Stimmungsgehalt. In spannungsvollem Kontrast dazu stehen Werke von Max Beckmann und Wilhelm Lehmbruck.

Mit den mittelalterlichen Freskenzyklen des toskanischen Malers Giotto di Bondone (1267-1337) hat man schon seit Vasaris Beschreibungen im 16. Jahrhundert den Beginn der Malerei der Neuzeit verbunden. Es war die innovative Bildwirkung, die fortan ein wechselseitiges Verhältnis von Bild und Betrachter beförderte.

1862 wurde ein erstes frühitalienisches Tafelbild eines venezianischen Meisters für die Stuttgarter Galerie erworben: Die Darstellung der Vision des Kaisers Augustus blieb aber für lange Zeit das einzige Werk dieses speziellen und relativ jungen Sammelgebietes. Mit spektakulären Ankäufen, etwa mit dem gemalten Kruzifix eines Florentiner Meisters, vor allem aber mit den beiden Erbach'schen Tafeln, die an Giottos verschollene Apokalypsendarstellungen in Neapel gemahnen, konnte der Bestand auf ein beachtliches Niveau gehoben werden. Auch Paul Klees Posaunenengel entstammt thematisch der biblischen Apokalypse und teilt – wenn auch auf eine ganz andere Weise künstlerischen Ausdrucks – die formale Schlichtheit der frühen Italiener.

Mit dem Vermächtnis des Freiherrn von Preuschen, des ehemaligen Vorsitzenden des Galerievereins, gelangten 1971 allein 36 frühitalienische Tafelbilder in den Besitz des Museums, darunter - wenn auch fragmentiert - eines der kunsthistorisch bedeutendsten: Fra Angelicos Gemälde entstand zeitnah zu Albertis Traktat »De pictura« über die Technik der Zentralperspektive in der Florentiner Malerei der Frührenaissance.

Raum 29

vereint Werke der flämischen und holländischen Schule. Mit Hauptwerken von Jan van Amstel und Pieter Bruegel d. Ä., den Vollendern der flämischen Landschaftskunst, sowie den auf die Sublimierung von Natureindrücken basierenden »Stadtporträts« der Haarlemer Monochromisten Jan van Goyen und Salomon van Ruysdael lässt sich der facettenreiche Weg von der vielteiligen Überblickslandschaft zur intimen niederländischen »Nationallandschaft« beispielhaft verfolgen. Ungeachtet der Unterschiede sprechen Gemeinsamkeiten jedoch stets mit: Die Schilderung der biblischen Geschichte als kleinfigurige, scheinbar beiläufige Nebenszene ist sowohl dem Gemälde von Jan van Amstel als auch jenem von Claude de Jongh eigen. Auch Rembrandts frühes Meisterwerk »Paulus im Gefängnis« berührt durch die ungewöhnliche Interpretation des Heiligen. Im Gegensatz zu den tradierten Darstelllungen eines seiner weltlichen Würde und geistigen Autorität bewussten Apostels begegnet in diesem Bild ein innerlich erschütterter, um die Wahrheitsfrage ringender Mensch. Den Typus des kleinformatigen Kabinettbildes auf Kupfer vertreten Werke des aus München stammenden Malers Johann Rottenhammer und seines Utrechter Kollegen Joachim Anthonisz. Wtewael. [nach oben]

Raum 30

Wie im vergangenen Jahrhundert Pablo Picasso so dominierte Michelangelo Buonarotti (1475 – 1564) als ein künstlerischer Titan das eigene Zeitalter. Wie im Werk Picassos war auch bei Michelangelo der menschliche Körper das zentrale Thema des künstlerischen Schaffens. Die 1558 entstandene Venus des Malers Giorgio Vasari, der ebenso Architekt und vor allem Kunstbiograph war, atmet ganz den Geist des Spätwerks seines künstlerischen Übervaters. Das auf Allansichtigkeit der Figur hin angelegte manieristische Motiv des leicht in der eigenen Achse gedrehten Körpers (figura serpentinata) beschäftigte insbesondere die Kunst der Bildhauerei bis hin zu Lehmbrucks Skulpturen. Auch Annibale Carracci, der mit zu den bedeutendsten Initiatoren der Malerei des Barocks zählt, konzentriert mit seinem »Leichnam Christi« auf recht ungewöhnliche Weise den Blick auf einen Körper.

Bereits 1852 konnte mit dem Ankauf der venezianischen Pinacoteca Barbini-Breganze eine der umfangreichsten Sammlungen italienischer Barockgemälde mit Werken u.a. von Carpaccio und Renieri erworben werden. Der höchst individuelle Charakter der Stuttgarter Sammlung zeigt sich vor allem in Werken, die in anderen Museen nur selten zu finden sind, wie etwa in einem Gemälde von Pietro Faccini oder in Werken von Florentiner Barockmalern wie etwa von Giovanni Biliverti. Für den Bestand von neapolitanischen Barockgemälden steht stellvertretend ein monumentales Werk von Mattia Preti. [nach oben]

Raum 31

»Der Schöpfer hat Italien nach Entwürfen von Michelangelo gemacht« – dieses launige Bonmot von Mark Twain beschreibt die prägende Wirkung der Künste auf die Wahrnehmung Italiens. Den Herzog von Choiseul faszinierten in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Bauwerke, Skulpturen und Malereien des antiken Rom so sehr, dass er sich von Giovanni Paolo Panini eine imaginäre Galerie malen liess, in der diese Monumente ausgestellt sind. Der erhabene Linienfluss antiker Vorlagen prägt auch Gottlieb Schicks Porträts von Heinrike Dannecker und Wilhelmine Cotta. Ganz aus der Anschauung antiker Plastik entwickelt Anselm Feuerbach 1871 die monumentale dritte Fassung seiner »Iphigenie«. Figur und Kleidung sind hier ebenso zur untrennbaren Einheit verschmolzen wie in Henry Moores »Drapierter Torso« von 1953. Moore hatte die Drapierung zunächst zu Steigerung der Körperspannung eingesetzt und war über das »griechische« Aussehen der Skulptur selbst verwundert. Gleichfalls als antikisch inspirierte Gewandfigur lässt Giulio Paolini die Allegorie der Malerei durch einen streng zentralperspektivisch konstruierten Raum wandeln, eine Reflexion über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft künstlerischen Schaffens. [nach oben]

Raum 32

Als Mitte zwischen Würde und Wollust, zwischen Geist und Triebhaftigkeit, definiert Schiller die Schönheit in seiner 1793 vollendeten Schrift »Über Anmut und Würde«. Sein Freund und Mitschüler Johann Heinrich Dannecker trifft diese Balance in seinen kleinformatigen Skulpturen, die größtenteils Entwürfe für monumentale Marmorgruppen darstellen. Während in der innigen Begegnung von »Amor und Psyche« ein Rest von rokokohafter Grazie nachwirkt, konfrontiert Dannecker bei »Ariadne auf dem Panther« die blühende Schönheit der nackten Reiterin mit der Gefährlichkeit des wilden Tieres.

Der gebändigten Triebhaftigkeit der Ariadnegruppe wird mit Eugène Delcaroix’ kleinformatigem Gemälde ein Ausbruch roher tierischer Gewalt gegenübergestellt, der gleichwohl malerisch als ein »Fest für das Auge« (Delacroix) gestaltet ist. Die Wende vom Idealismus zur Romantik wird auch in den hier gezeigten Landschaften greifbar. Während den weiten Landschaftsräumen Joseph Anton Kochs stets der Mensch als Maßstab dient, dessen Anwesenheit der erhabenen Natur erst ihren Sinn gibt, erzeugen Friedrich und Hodler streng komponierte spirituelle Räume, die den Betrachter zur Erkundung einer neuen Realität einladen, an der er nur durch das Bild teilhaben kann. [nach oben]

Raum 33

Der Raum vereinigt eine Vielzahl künstlerischer Antworten auf eine Bewegung, die seit 1874 unter dem Begriff »Impressionismus« die Möglichkeiten der Malerei entscheidend erweiterte. Claude Monet, der als erster eines seiner Gemälde »Impression« nannte, lässt in »Felder im Frühling« die Farben vibrieren und macht so das Bild selbst zum Sehereignis.

Lovis Corinth und der von ihm bewunderte Edouard Manet nutzen die Spuren des Pinsels als expressive Zeichen, die unabhängig von den dargestellten Gegenständen Bestand haben. Degas und Slevogt zeigen genau studierte und auf die Möglichkeiten des Bildformats abgestimmte Raum- und Figurenchoreographien, die bewusst an die Tradition der Renaissance- und Barockmalerei anknüpfen. Die Übertragung des Impressionismus auf das Medium Skulptur gelingt Medardo Rosso mit seiner »Pförtnerin«, deren Verglasung die Vieldeutigkeit dieses Frauenporträts zusätzlich erhöht.

Mit seiner aus verschiedenen im Atelier vorrätigen Körperfragmenten zusammengesetzten »Götterbotin« erprobt Auguste Rodin erstmals ein Kompositionsverfahren, das in der Moderne große Bedeutung erlangen sollte, etwa im »tubisme« Fernand Légers. Sein abstraktes Gemälde von 1913 überwindet die Idee der »Impression«, in dem es Bewegung und Farbe von jeder konkreten Seherfahrung abgelöst zeigt. [nach oben]

Raum 34

Für die französischen Künstler zu Beginn des 20. Jhs. galten Paul Cézanne und Paul Gauguin als Wegbereiter eines neuartigen Bildkonzepts, das dem Kunstwerk mehr reale Substanz zusprechen möchte als der sichtbaren Wirklichkeit.

Zwar lernte Pablo Picasso schon während seines zweiten Parisaufenthaltes im Jahr 1901 Werke Cézannes kennen, doch reflektieren die monochromen Werke der sogenannten Blauen Periode – wie hier die »Kauernde Frau«von 1902 - zunächst eine eher an Gauguin orientierte Flächigkeit und Betonung der Konturlinien. Auch der elegische Stimmungsgehalt steht Gauguins geheimnisvollen Südsee-Visionen nahe.

Erst um 1907 – in diesem Jahr fanden Cézanne-Gedächtnisausstellungen des 1906 verstorbenen Künstlers statt – wird dessen Einfluß vehement. Für Picasso, Georges Braque und – etwas später – Juan Gris wurde Cézannes konstruktive Bildauffassung Ausgangspunkt einer neuartigen Bildarchitektur, die unter der zunächst negativ gemeinten Bezeichnung „Kubismus“ bekannt wurde. Cézannes offen angelegte Raumzonen wurden dabei zugunsten einer kubischen Konzeption aller Bildelemente vereinheitlicht. Der Gegenstand blieb aber immer Ausgangspunkt der geometrischen Untersuchung, wobei in der Endphase des sog. Analytischen Kubismus – Braques »Violine« von 1912 mag hierfür stehen – der Gegenstand (beinahe) aufgelöst erscheint. [nach oben]

Raum 35

Mit dem Norweger Edvard Munch, der von 1893-1908 vornehmlich in Berlin und Paris lebte, den Österreichern Egon Schiele und Oskar Kokoschka, den Deutschen Emil Nolde und Franz Marc, den Russen Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky finden hier Pioniere der expressiven Malerei des frühen 20. Jahrhunderts zusammen, deren übernationale Gemeinsamkeit in einer mit Leidenschaft betriebenen Suche nach Unmittelbarkeit und Sprengung der akademischen Fesseln besteht.

In der Porträtmalerei wird größte psychische Ausdruckskraft erreicht, die bei Kokoschka, Schiele und Munch besonders »unter die Haut« geht: Mittels nervöser Linienführung und unmittelbar aufgetragener Farbe wird unter der Oberfläche der sichtbaren Erscheinung mit röntgenhafter Hellsichtigkeit nach verborgenen Energien und schicksalshafter Bestimmung gesucht.

Abstrahierter und mit leuchtenden Farben und Formen wird das kosmisch eingebundene Naturerlebnis von den Künstlern des 1911 gegründeten »Blauen Reiters« gefeiert. Franz Marc verkündet das ursprüngliche Einssein mit der Natur über die strukturelle Verwebung von Tiergestalten mit dem (Bild)raum. Kandinskys Landschaftskomposition von 1910 steht bereits auf der Schwelle zur reinen, gegenstandsfernen Farborchestration, während der zum engen Umkreis des »Blauen Reiters« gehörende Jawlensky sich immer stärker der verinnerlichten Bildnismalerei gewidmet hat. [nach oben]

Raum 36

Die besonders in Deutschland verbreitete Wendung des Expressionismus in beißende Sozialkritik wird durch den Ersten Weltkrieg verstärkt, doch findet eine als untergangsgefährdet empfundene Zeitstimmung schon vor Ausbruch des Krieges künstlerischen Ausdruck. So scheinen das dramatisch erregte Straßenbild von Ernst Ludwig Kirchner und die apokalyptische Vision von Ludwig Meidner seismographisch das nahende Beben vorauszufühlen, während Wilhelm Lehmbrucks gestürzter Krieger, die Straßenszene von George Grosz und der »Streichholzhändler« von Otto Dix für die Desillusionierung einer ganzen Generation stehen. Nicht weniger mitgenommen und »zerrissen« tritt uns Jahrzehnte später der Protagonist des Gemäldes von Georg Baselitz entgegen: ein Nachfahre jener lädierten, einer chaotischen Welt trotzenden »Helden«, mit denen der Künstler seit 1965 bekannt wurde.

In den Gemälden von Max Beckmann und Pablo Picasso wird uns existentielle Krisenstimmung über eine subjektivere Symbolsprache vermittelt. In den ausgestellten Gemälden der von Naziterror und Krieg gezeichneten Epoche nach 1933 werden Unsicherheit und Bedrohung als schicksalhafte Reise eines Menschenpaares auf einem abwärts rasenden Fischpaar bzw. als düster animiertes, sarkophagartiges Möbelstück chiffriert. Die früheren Arbeiten beider Künstler sprechen dagegen, symbolhaft verschlüsselt, die transzendentale Ausrichtung des Künstlertums an. [nach oben]

Raum 37

Im Vergleich zur seelischen Beunruhigung der Künstler und ihrer komplexen Formensprache, die uns in Raum 36 begegnet, treffen wir mit den Bauhauskünstlern Oskar Schlemmer, Paul Klee, Lyonel Feininger und Laszlo Moholy-Nagy auf eine optimistischere Aufbruchstimmung und eine eher konstruktive Formauffassung. Als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg möchten sie über umfassende Umweltgestaltung den »Bau der Zukunft«, wo Mensch und Architektur eine harmonische Symbiose eingehen, errichten.

Diesen gattungsübergreifenden Ansatz realisiert 1922 besonders Oskar Schlemmers Triadisches Ballett, das einen tänzerischen Konstruktivismus begründen möchte, bei dem nicht der Körper und seine Bewegungen im Zentrum stehen, sondern das vergleichsweise starre »raumplastische Kostüm«: Wie Plastiken sollen sich die Tänzer nach festen Regeln bewegen und in den Raum eintauchen.

Bei der prismatischen, entmaterialisierten Architekturvision von Feininger, bei Klees kurz vor bzw. nach seiner Berufung ans Bauhaus entstandenen, zunehmend rationaler angelegten Arbeiten wie auch bei Moholy-Nagys transparenter Geometriekomposition kommt das metaphysische Moment, das auch bei Schlemmer immer eine zentrale Rolle spielt, durch eine subtile Lichtinszenierung noch mehr zum Tragen. [nach oben]

Raum 38

»Jeder Mensch ist ein Künstler in dem Sinne, dass er etwas gestalten kann. Das würde die Entfremdung in der Arbeitswelt überwinden, ist auch ein therapeutischer Prozess, ist aber auch ein Wärmeprozess.« Mit diesen Worten beschreibt Joseph Beuys, was seine Arbeit von der anderer Künstler unterscheidet. Er malt keine Bilder, er schafft keine Skulpturen im traditionellen Sinn. Ihm geht es darum, Prozesse anzustoßen. Seine Werke sind das Ergebnis von Aktionen, in deren Verlauf Materialien durch Wärme und Energie verwandelt werden. Der Prozeß selbst ist wichtig, nicht sein künstlerisches Ergebnis. Die Verwandlung »armer« Materialien wie Fett, Eisen, Filz und Gummi in Symbole für den Fluss und die Leitung thermischer Energien wird zum Sinnbild für die dauernde Verwandlungsfähigkeit und –Bedürftigkeit des Menschen als kreatürliches und soziales Wesen. Die Kunst kann den Weg zu dieser Verwandlung aufzeigen – Beuys sieht sie als Heilmittel, spricht selbst von der »Kunstsalbe« und der »Kunstpille«. Der Sinn des Kunstwerks wird nur erreicht, wenn die Ideen im Fluss bleiben: »Durch Menschen bewegen sich Ideen fort, während sie in Kunstwerken erstarren und schließlich zurückbleiben.« [nach oben]

Raum 39

Zwei Themen beherrschen diesen Raum: die Gestaltung von Kunstwerken und Farbe in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hans Richters Farbpolyphonie steigt einem inneren Rhythmus folgend aus dem Fundament des roten Quadrats im unteren Teil des Bildes empor und vermittelt in der dynamischen Abfolge rein abstrakter Farbfelder einen Eindruck von Bewegung. Die lockere Flächengliederung in Mondrians abstrahierter Darstellung ist noch in der Anschauung verwurzelt, hier der Fassade eines Abbruchhauses. Beiden Bildern ist eine stark vertikale Ausrichtung gemein, die auch das zwischen ihnen hängende Gemälde von Barnett Newman prägt. Newmans Bild, dessen provozierender Titel sich auf Mondrians ausschließliche Verwendung von Primärfarben bezieht, enthebt die Farbe jeglicher beschreibenden Funktion. Die Gemälde in der anderen Hälfte des Saales führen die Bedeutung einer vom Bildgegenstand unabhängigen Struktur vor Augen. Die Zweiteilung des Kunstwerks ist nicht nur in Blinky Palermos abstrakter Konstruktion augenfällig, sondern auch in der Trennung von Wasser und Himmel in zwei Seestücken unterschiedlicher Epochen von Gerhard Richter und Gustave Courbet. Der den rasch dahinjagenden Wolken nachempfundene aufgewühlte Duktus Courbets findet ein Jahrhundert später einen Widerhall in der impulsiven Gestik und der geflammten Oberfläche des abstrakten Gemäldes von Gerhard Richter. [nach oben]

Raum 40

In seinen Arbeiten, die aus ganz unterschiedlichen Materialien entstehen, beschäftigt sich Bruce Nauman mit Fragen zur menschlichen Sinneswahrnehmung und dem Verhältnis von Erfahrung und Erkenntnisprozess. Zentral ist seine Auseinandersetzung mit Gestalt, Mimik, Sprache und Bewegung des Menschen, in die der Betrachter mit einbezogen wird. In der Begegnung von Individuen reflektiert Nauman sozial konditionierte Verhaltensweisen und deren immanente Gegensätze von Gewalt und Zuwendung, Entsetzen und Komik, Leben und Tod. Ironisch, mit scheinbar spielerischen Einsatz von Licht, kommentiert die Neon-Installation »Shaking Hands« die Verflechtung von Männlichkeitsgebaren und konkurrenzbetonter Aggression. In wiederholenden Bewegungsabläufen gefangen, perforieren die Neon-Figuren mit gleichsam aggressivem, hellen Aufleuchten den Raum. Die Polarität menschlicher Beziehungen führt uns ebenso die Skulptur Rinde Head / Andrew Head vor Augen. In dem unentrinnbaren Aufeinandertreffen der körperlos auf eine Plinthe montierten Köpfe, die mit einem Atemröhrchen verbunden sind, schwankt der Betrachter zwischen eindringlicher Intimität und unterschwelliger Brutalität als Ausdruck dieser Verbindung. [nach oben]

Raum 41

Erdige Materialien und die direkte Auseinandersetzung mit der Oberfläche des Kunstwerks sind der Schlüssel zu vielen der Bilder in diesem Raum. Pollocks auf die Leinwand getropfte Farbe bildet ein komplexes Formengewebe rhythmischer Farbspuren. Dubuffets rätselhafte »Texturologie« ist zwar ebenso informell, doch in ein collagiertes Patchwork aus getropften Partien und erdiger Materialhaftigkeit strukturiert. Kiefer und Tàpies erweitern das Malmedium Farbe um Zement, Sand und Stroh. Schriftzüge machen Kiefers frühe Gemälde, die sich mit dem schwierigen Thema der deutschen Geschichte auseinandersetzen, zu einem Schauplatz – hier zum Beispiel ein verbranntes Feld – auf dem er der Vergangenheit zu begegnen sucht. Obgleich weniger demonstrativ, lässt sich auch Tàpies’ punktierte neutral graue Bildoberfläche im Kontext des spanischen Bürgerkrieges der 30er Jahre, in dem sich demokratische und faschistische Kräfte gegenüberstanden, interpretieren. So bedienen sich beide Künstler auf unterschiedliche Weise der Darstellung und des Materials, um ihre Bilder zu politisieren. [nach oben]

Raum 42

Ungeachtet der trennenden Jahrhunderte und gegensätzlichen künstlerischen Ansätze ist den Arbeiten in diesem Raum ein Thema gemein. Die alte Frau in Pietro Bellottis ungewöhnlicher Darstellung des Alters hält den Schicksalsfaden in Händen. Auch in Andy Warhols modernisierter doch zugleich traditionsverhafteter Darstellung des Memento mori kommt die Fragilität des Lebens zum Ausdruck. Dramatische Ereignisse, in denen sich das Schicksal einzelner entscheidet, stellen das andere, verwandte Thema des Raumes. Es wird beherrscht von Jeff Koons’ Darstellung der Cartoonfigur The Incredible Hulk, die sich bei jedem Anflug von Wut in ein rasendes Monster verwandelt. In Edward Burne-Jones’ »Die Erfüllung des Schicksals«, Teil des gefeierten Perseus-Zyklus’, erschlägt der Held das Seeungeheuer, um Andromeda zu retten.

Ähnlich gewalttätig ist Cranachs außerordentlich nüchterne und präzise Darstellung der Judith mit dem Haupt des Holofernes, das sie ihm abschlagen musste, um ihre Stadt vor Gefangenschaft zu bewahren. Zwar sind Pia Stadtbäumers fünf Köpfe weniger ungeheuerlich als jene Visionen und Taten, doch verleiht ihnen die um die Mundpartie abgeschälte Haut, die den Blick auf verborgene innere Schichten freigibt, eine verstörende Fremdheit. [nach oben]

Wechselausstellungsraum

Konzentration und Lösung, Leichtigkeit und Schwere, Statik und Dynamik, Abgeschlossenheit und Verspannung unsichtbarer Fluchtlinien sind in dem 25 m Stab von Walter de Maria geborgen. Die elegante Form lässt sein tatsächliches Gewicht von 4 Tonnen kaum erahnen. Dank der Farbanklänge und der spiegelnden Politur des Messingstabes fließen Kunstwerk und Raum ineinander. Eigens für diesen Raum geschaffen, verrät das Werk durch Raumbezug wie Dimension seine geistige Nähe zur Land Art. Anders als zur documenta 6 (1977), als der Künstler einen Messingstab von 1000 m Länge als »Vertikalen Erdkilometer« vollständig in den Grund versenkte, verspannt der 25 m Stab Orte auf der Erdoberfläche nicht durch die Erde hindurch, sondern macht sie dadurch bewusst, dass er sich als Tangente an sie anlegt. Er markiert die Stelle, in der sie der Erde am nächsten kommt – hier stoßen Anfang und Ende der Unendlichkeit zusammen; hier ist das Zentrum des menschlichen Kosmos. Wie in der gleichzeitig ebenfalls für Stuttgart geschaffenen 5 Kontinente Skulptur (heute Daimler AG, Stuttgart-Möhringen) stellt auch hier die Zahl 5 das Grundmaß der Außendimensionen. In allen drei Werken bildet die Evokation eines plastischen Bewusstseins für den Raum, genauer für den Lebensraum Erde, den zentralen Leitgedanken. [nach oben]

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