Zum ersten Mal überhaupt wird dem Maler Gaspare Traversi (ca. 1722 – 1770) von einem europäischen Kunstmuseum eine monographische Ausstellung gewidmet. Damit lenkt die Staatsgalerie Stuttgart den Blick auf einen lange von der Kunstgeschichte vergessenen Künstler des italienischen Settecento. Die Idee für dieses Projekt entstand mit dem Ankauf des Gemäldes »Die Operation« im Jahr 1999, eines der signifikantesten Bilder des bereits 48-jährig verstorbenen Malers. Insgesamt werden 65 Gemälde seines nahezu 200 Werke umfassenden Œuvres gezeigt. Dank bedeutender internationaler Leihgaben aus Museen in Europa und den USA sowie Gemälden aus privaten Sammlungen, die zum Teil noch nie der Öffentlichkeit präsentiert wurden, konnte diese einzigartige Ausstellung realisiert werden.
Keiner der zeitgenössischen Künstlerbiografen hat jemals über das Leben und die Werke Gaspare Traversis ausführlich berichtet. Nur Carlo Bianconi, ein Künstler aus Bologna und der künftige Sekretär der Accademia di Brera in Mailand, äußerte sich im Jahre 1776 in knappen und dürren Zeilen, aus denen lediglich hervorgeht, daß Traversi einer der Schüler des damals in Neapel führenden Meisters Francesco Solimena gewesen sein soll und daß sich der Maler dann bald in Rom niederließ.
Gaspare Traversi wurde unmittelbar vor 1723 geboren und stammte, wie aus anderen Dokumenten hervorgeht, aus dem zentralen Viertel von Spaccanapoli in Neapel, offenbar aus eher bescheidenen Verhältnissen einer kinderreichen Familie. Neapel war schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts, was die Bevölkerungsdichte betraf, die zweitgrößte europäische Stadt nach Paris und war unter der Herrschaft der Habsburger in kurzer Zeit auch zu einer Metropole der musikalischen Welt geworden. Mit der Regierungszeit der Bourbonen kamen die Gedanken der Aufklärung in die Stadt. Die Familie Traversi gehörte damals zur Pfarrei von San Giorgio di Genovesi. Der junge Gaspare verbrachte somit die prägende Jugend und auch seine erste Zeit als Maler in jenem alten Viertel, wo sich mit dem Teatro di San Bartolomeo eine der wichtigsten Musikbühnen der Stadt befand. Hier, wo sich alle großen Sänger der Zeit trafen, wurde 1733 Pergolesis »Serva Padrona« uraufgeführt. In Neapel entstand damals mit der populären »Opera buffa« eine ganz neue Form der Oper. Der Maler Gaspare Traversi wuchs sozusagen mit den Texten der Libretti und dem Klang der Arien auf, die damals vom nahen Theater aus in den dunklen Gassen wiederhallten und die Stimmung in den Tavernen anheizten. Diese heitere Welt der musikalischen Intermezzi, welche damals in einer Vielzahl von Variationen die immer wieder gleichen Geschichten des Alltags auf die Opernbühnen brachten, von den Intrigen, den Liebestäuschungen und den kleinen bürgerlichen Leiden, wurde offenbar für den Maler Gaspare Traversi zu einer wichtigen Quelle der Inspiration. Dabei war die barocke Maltradition seiner Heimatstadt, geprägt von Künstlern wie Caravaggio, Ribera und Mattia Preti, der eigentliche Ausgangspunkt seines künstlerischen Schaffens.
Seit etwa 1752 hatte sich Traversi in Rom niedergelassen, wo er im Stadtteil von Trastevere lebte und arbeitete. Er gründete eine Familie und hier ist er auch im Jahre 1770 verstorben. Einer seiner wichtigsten Förderer und Auftraggeber war der einflussreiche, reformorientierte Franziskaner und Ordensgeneral Fra Raffaello Rossi da Lugagnano, den der Maler mehrfach porträtierte und der ihm verschiedene Aufträge auch für Kirchen und Konvente vermittelte. Zum römischen Hauptwerk Traversis zählt jener Zyklus von sechs Gemälden mit religiöser Thematik, die heute in Räumen des Konvents von San Paolo fuori le mura, in der Sala verde, aufbewahrt werden. Ursprünglich waren diese großformatigen Bilder für die Karmelterkirche San Crisogono in Trastevere gemalt worden, für die damalige Titularkirche des Kardinals Gian Giacomo Millo.
Die Stuttgarter Ausstellung zeigt nicht nur ein eigenwilliges Porträt dieses Kardinals, auch zwei der beeindruckenden Gemälde aus dem Zyklus von San Paolo fuori le mura sind erstmals außerhalb Italiens in Stuttgart zu sehen: »Die Ermordung Amnons beim Gastmahl Absaloms«, ein Gemälde, das wegen der drastischen Thematik und der dramatischen Handlung an Darstellungen Caravaggios oder Riberas erinnert, und das 1752 datierte und signierte Gemälde »Die Wiedererweckung des Lazarus«. Die Ausstellung zeigt am Beispiel weiterer Porträts Traversis eigenwillige, dem Geist seiner Zeit folgenden Auffassung von Repräsentanten des öffentlichen Lebens, zu denen etwa auch der Jurist Niccolò Fraggianni gehörte, ein aufgeklärter, entschiedener Anhänger einer antikurialistischen Politik in Neapel, der während der Herrschaft der Bourbonen eine Schlüsselposition bei der königlichen Administration innehatte.
Trotz bedeutender Aufträge und trotz der einflußreichen Auftraggeber geriet der Name und die Kunst Traversis aber schon bald nach seinem Tode fast völlig in Vergessenheit. Erst in den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Maler von Roberto Longhi, einem der bedeutendsten Kunsthistoriker Italiens, wiederentdeckt.
Insbesondere erkannte Longhi die Bedeutung Traversis als Maler des Genre, dessen »Interessen bereits auf ein Niveau vordringen sollten, das in der Kunst bis dahin noch unerreicht war«. Mit dem Blick auf dessen Gemälde »Die medizinische Untersuchung«, das als Leihgabe der Accademia in Venedig in der Stuttgarter Ausstellung zu sehen ist, schrieb Longhi, es könnte durchaus »von Diderot in Auftrag gegeben und von Chardin gemalt worden sein«. Roberto Longhi stellte somit vor allem Traversis Genrebilder in einen kunsthistorisch höchst bemerkenswerten Zusammenhang, der mit einer grundsätzlich neuen Bewertung der Gattung des Genres in der Malerei zu tun hat, die sich unter dem Einfluss der französischen Kunstkritiker im Verlauf des 18. Jahrhunderts abzuzeichnen begann.
Im Wechselspiel von Kritik und Kunstpraxis traten in den damaligen Salons anstatt der Darstellungsinhalte immer stärker die Wirkungsmechanismen eines Bildes in den Vordergrund. An Stelle des didaktischen wurde nun zunehmend der ästhetische Wert zu einem Urteilskriterium, und indem der Betrachter eine private Perspektive auf die Darstellung gewann, war sie individuell nachvollziehbar und verständlich. Es war dabei die besondere Stärke der Genremalerei, das Sentiment des Betrachters anzusprechen. Roberto Longhi sah in Gaspare Traversi offenbar einen Maler, der sich mit seinen Bildern schon an der Schwelle einer neuen Zeit bewegt hatte, die immer stärker vom aufklärerischen Geist der Enzyklopädisten geprägt wurde. Ein typisches Merkmal dieser Epoche war die Neigung zum Verschmelzen der Gattungen und Stile. Innerhalb der hierarchischen Ordnung der Gattungen kamen dem Genre, das sich auf Darstellungen des allgemein Menschlichen konzentrierte, wie auch dem Porträt im Vergleich mit dem Historienbild stets ein viel geringeres Ansehen zu. Diese Kontroverse in der damaligen Malerei zwischen Genre und Historie hatte 1752 infolge von Pergolesis Aufführung der »Serva Padrona« in Paris mit dem »Buffonistenstreit« ihre Entsprechung auch in der Musik.
Das Klima eines aktiven Experimentierens und der Erneuerung des Repertoires hatte vor allem in Neapel mit dem Entstehen der »Opera buffa« zu einer ganz und gar eigenständigen Lösung gefunden. Diese grundlegenden Veränderungen haben das künstlerische Schaffen Gaspare Traversis offenbar ganz maßgeblich beeinflusst. Angesichts des bahnbrechenden Erfolges der »Opera buffa« in Neapel, der es damals immerhin zu gelingen schien, sich mit ihren heiteren und komischen Alltagsszenen als eine eigene anerkannte Gattung gegenüber der erhabenen Form der »Opera seria« zu behaupten, musste Traversi wohl intuitiv gespürt haben, dass es auch für ihn als Maler einen adäquaten künstlerischen Weg des Erfolges geben könnte. Die »Opera buffa« war ihm dabei entscheidende Lehrmeisterin. Ihre Libretti konnte er in seine eigene Bildsprache umdeuten, ja durch sie ist der Maler Gaspare Traversi überhaupt erst zu seiner – wie schon Roberto Longhi erkannte – ureigensten Methode gelangt. Hier haben die heitern Gemälde Traversis ihren Sitz im Leben und in diesem Sinne konnte der Maler mit Recht auch als der »italienische Hogarth« bezeichnet werden.