Anhand thematischer Gruppen wird verdeutlicht, dass die »Ismen« des frühen 20. Jahrhunderts keinerlei Nationalstile aufweisen. Wenn die Ausbreitung der Moderne um 1900 die gerade erst errichteten Grenzen der Nationalkulturen überwand, zeigt sich darin nicht die Macht einer Modeströmung, sondern eine Aufbruchstimmung, die Künstler in ganz Europa für diese Impulse empfänglich machte.
Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die frühe Moderne zweier Länder, Ungarn und Deutschland, deren enge historische Verbindung dadurch an Sichtbarkeit gewinnt. Während die Magyarisierung des 19. Jahrhunderts im multiethnischen Ungarn andere Traditionen zurückgedrängt hatte, definierte sich das wilhelminische Deutschland durch den Gegensatz zu Frankreich. Beide Länder waren in einer kulturellen Erstarrung befangen, welche bildende Künstler und Literaten zu überwinden suchten. Der Aufbruch in die Moderne zielte hier wie dort auf eine grundlegende Reformierung aller Lebensbereiche. Dies machte sich zum Beispiel in der Natursuche der Freiluftmalerei, der Gründung von Künstlerkolonien und der Hinwendung zum nackten Körper (Körperreform) bemerkbar. Letzteres lässt sich besonders in unakademischen Aktzeichnungen nachvollziehen.
Die programmatische Verschmelzung von Kunst und Leben wandte sich gegen ein Bürgertum, das die negativen Auswirkungen der Modernisierung ästhetisch verkleidet wissen wollte. Waren die Künstler der »Acht« und die »Aktivisten« um Lajos Kassák schon während des Ersten Weltkrieges hoch politisiert, traten auch deutsche Expressionisten 1918 für die Revolution ein. Die Niederschlagung der Räterepubliken in Ungarn und Deutschland führte zu künstlerischen Tendenzen, die bald als »Neue Sachlichkeit« bezeichnet wurden. Dahinter verbirgt sich die sozialkritische Schärfe der Arbeiten von Otto Dix, Gyula Derkovits und George Grosz. Zur gleichen Zeit etablierte der Konstruktivismus eine Formensprache, die der transnationalen Utopie verpflichtet blieb – umso spannender ein Vergleich der Linolschnitte von Alexander Rodschenko und Béla Uitz.
In Deutschland verfolgten ungarische Exilkünstler am Dessauer Bauhaus das Projekt einer im Dienst des Lebens stehenden Kunst. Im Gegensatz hierzu dokumentieren Montagen und Collagen des Dadaismus’ und Surrealismus’ die Forderung der radikalen Avantgarde nach der Abschaffung und Demontage der vom Bürgertum als Institution begriffenen Kunst.
Historisch überschneiden sich Dialoge und Parallelen beider Länder mit der Errichtung neuer Nationalgrenzen und dem Aufstieg faschistischer und stalinistischer Regime. Damit begann ein Ost-West-Gegensatz, der in manchen Köpfen noch heute existiert. Diesen Gegensatz gilt es durch ein waches Interesse und die Unterstreichung der kulturellen Gemeinsamkeiten Europas zu ersetzen, wozu diese Ausstellung ihren Beitrag leistet. Auf die erstmals möglichen Gegenüberstellungen darf man gespannt sein.
Zur Ausstellung »Europa im Umbruch« ist ein ungarisch-/deutschsprachiger Katalog erschienen.